Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
gar nicht hier sein«, erklärte er. »Ich fordere das Schicksal geradezu heraus. Falls Bailic die Feste generell durchforstet, statt gezielt nach Euch und Strell zu suchen, wird er mich finden. Meine Anwesenheit könnte ein wenig schwierig zu erklären sein.«
»Ich wusste gar nicht, dass er das kann«, sagte sie leise und verstand jetzt, wie Bailic sie immer so schnell fand, wenn sie ihm zu viel Lärm machten.
»Die Stallungen bieten einen gewissen Schutz«, fuhr Lodesh fort. »Pferde sind sehr sensible Tiere. Man kann hier nicht mal einen Bann gegen den Staub verwenden. Die Wände sind teilweise von der Feste abgeschirmt, doch wenn Bailic eine konzentrierte Anstrengung unternähme oder wüsste, nach wem er sucht, würde er mich auch hier entdecken. Ich bleibe noch bis zum Nachmittag, wenn der Schneefall richtig einsetzt und meine Fuß spuren verbirgt, dann gehe ich nach Hause.«
Sie lächelte. Nach Hause – das musste Ese’ Nawoer sein. Das war ein weiter Weg. Doch dann runzelte sie die Stirn. Was tat er hier? Warum saß er hier im Dunkeln und knackte Nüsse? »Ihr seid nicht zum ersten Mal hier«, sagte sie, und Ärger flackerte in ihr auf. »Ihr habt mich im Auge behalten, zwischen meinen Lektionen, nicht wahr?«
Lodesh schien sich innerlich zu winden. »Bitte, Alissa. Sagt Talo-Toecan nichts davon, dass ich Euch erlaubt habe, mich zu finden.«
Er ist also tatsächlichschon hier gewesen?, dachte sie zornig. »Mir erlaubt, Euch zu finden?«, sagte sie und hob die Stimme. »Hat Nutzlos Euch hergeschickt, damit Ihr mir nachspioniert, solange er nicht da ist?«
Lodesh richtete sich auf. »Äh, nein, nicht direkt, nun ja. Mag sein.« Er sah sie flehentlich an. »Sagt ihm nicht, dass Ihr mich hier ertappt habt. Er würde mir befehlen, mich fernzuhalten, und ich müsste ihm gehorchen, wenn er seine Forderung so direkt stellt.« Lodesh streckte die Arme aus, um nach ihren Händen zu greifen, aber sie wich zurück, empört darüber, dass er sie auf diese Weise besänftigen wollte.
»Ihr habt mir nachspioniert!«, schrie sie.
Kralle keckerte auf ihrer Wand, als sie Alissas erregte Stimme hörte. Bekümmert sank Lodesh zurück auf den mit Stoff bedeckten Strohballen und ließ den Kopf hängen. Als er aufblickte, erkannte sie aufrichtige Reue in seinem Blick. »Ja. Das habe ich. Und es war falsch von mir. Ich verspreche Euch, dass ich Euch von nun an immer wissen lassen werde, wann ich hier bin.« Er streckte erneut einen Arm aus und zog ihn zurück, als Alissa das Kinn reckte. »Bitte, Alissa. Ich wollte Euch nur sehen. Und diesmal habe ich mich Euch doch zu erkennen gegeben.«
Sie schürzte die Lippen, doch er widersprach ihr nicht mehr, und so machte es keinen Spaß. Sie bürstete überflüssigerweise mit der Hand über ihren Rock und bemühte sich, ihre Wut zu zügeln. Nutzlos wollte sich ja nur vergewissern, dass es ihr gut ging; trotzdem wurmte sie diese Heimlichkeit.
Lodesh rückte verlegen auf dem Ballen herum. »Bitte. Lasst mich Euch einen Becher Tee einschenken.« Stumm wartete sie ab, während er die Kanne, die sie Strell zugedacht hatte, nahm und Tee in die beiden Becher goss. Er reichte ihr den ersten, und sie begegnete seinem Blick, als seine Finger die ihren streiften. Sie zuckte nicht zurück, denn ihre Verlegenheit wurde diesmal von ihrem nachlassenden Ärger überdeckt.
»So-o-o«, sagte Lodesh gedehnt, als er sich wieder auf seinen Platz sinken ließ. »Wie geht Euer Unterricht voran?«
Der letzte Rest ihres Zorns verschwand, als sie den ulkigen Bogen seiner ironisch hochgezogenen Brauen sah. Sie vergab ihm und trank einen Schluck Tee. »Langsam.«
Lodesh lachte, und der Laut schien den kleinen Raum auszufüllen. »Ist das nicht immer so? Mein Lehrmeister, Redal-Stan, hat mich einmal beschuldigt, ich würde an Türen lauschen, um Resonanzen aufzufangen.«
»Das ist abscheulich«, sagte sie und lächelte über die Vorstellung von Lodesh, der lauschend an einer Tür kauerte.
Lodesh zuckte mit den Schultern und trank. »Das habe ich aber.«
»Nutzlos hat mich einen Verschleierungsbann gelehrt«, erklärte sie voller Stolz auf ihren ersten richtigen Zauber.
»Könnt Ihr ihn schon im Schlaf halten?«
Sie nickte, und ihr wurde warm, als Lodesh bewundernd den Kopf neigte. Es war schön, von jemandem zu hören, dass sie ihre Sache gut gemacht hatte. »Erzählt Ihr mir von Ese’ Nawoer?«, bat sie. »Es muss einst eine prächtige Stadt gewesen sein, mit Obstgärten und gepflasterten Straßen.
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