Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
Habt Ihr manchmal draußen im Hain Feste gefeiert?«
Lodesh erstarrte. »Feste?«, fragte er leise. »Ihr meint, mit Musik und Trommeln?«
Alissa lächelte. »Und Tanz im Mondschein.«
»Unter den Euthymien in voller Blüte?«, sagte er sehnsuchtsvoll.
»Und dem Wind, der an einem zupft, damit man mit ihm davonfliegt?« Alissas Augen schlossen sich, als sie sich all das vorstellte.
»Ja«, sagte Lodesh, und als sie seinen harten Tonfall hörte, riss sie die Augen auf. »Ganz genau so.« Seine Augen wirkten dunkel im Kerzenschein.
Sie bewegte leicht die Schultern, denn der plötzlich so volle Klang seiner Stimme machte sie nervös. »Erzählt Ihr mir von einem solchen Fest?«, bat sie und trank einen weiteren Schluck Tee.
»Nein.« Lodesh wandte das Gesicht ab, um ihrem Blick auszuweichen. »Nicht jetzt. Später vielleicht.«
Er wirkte ehrlich bekümmert, und Alissa streckte den Arm aus, um ihn an der Schulter zu berühren. »Es tut mir leid. Ich wollte Euch nicht traurig stimmen.«
Seine Augen waren klar, als er unter ihrer Berührung aufblickte. »Das habt Ihr nicht«, sagte er und strich ihr mit dem Zeigefinger über die Wange. »Selbst schmerzvolle Erinnerungen können einen glücklichen Augenblick hervorbringen.«
Ihr Herz schlug schneller, und da Alissa nicht mehr wusste, was sie sagen sollte, lehnte sie sich zurück und versteckte sich hinter ihrem Tee. »Ich sollte jetzt gehen«, sagte sie dann und stellte ihre kaum berührte Tasse neben den Teller voller Kerzen.
»Ich weiß.«
Seine Stimme klang müde, und sie hatte ein schlechtes Gewissen dabei, ihn allein zu lassen. »Es war nett«, sagte sie und erhob sich. »Die Unterhaltung mit Euch, meine ich. Strell versteht nichts … von Bewahrer-Sachen.«
Lodesh lächelte sie an, doch es wirkte gezwungen, als verberge er etwas. »Sich mitzuteilen und zu wissen, dass ein anderer vollkommen versteht, ist mehr wert als alles Gold der Welt.«
Alissa nickte, hatte aber das Gefühl, dass hier mehr gesagt wurde, als sie verstand. Lodesh nahm die Teekanne und füllte sie wieder auf, aus einem Krug, den er unter einer mit Stoff bedeckten Kiste hervorholte. »Ihr solltet wirklich gehen«, sagte er. »Wenn Ihr mir versprecht, nicht auf Eure Pfade zu schauen, werde ich Euch das Wasser wieder heiß machen.«
Sie nickte erneut; sie hatte nicht gewusst, dass das möglich war. Nutzlos ließ ihr Teewasser stets vom Feuer erhitzen. Sie spürte ein kurzes Zupfen an ihrem Bewusstsein, und dann reichte er ihr die Kanne, schwer und warm. »Ich danke Euch, Lodesh«, sagte sie und hielt in der Stallgasse inne. »Ihr werdet doch gut wieder nach Hause kommen? Es wird schon kalt.«
Sein Lächeln wurde herzlich. »Die längste Nacht könnte mir jetzt nicht mehr meine Wärme rauben, Alissa. Macht Euch keine Gedanken um mich.«
Wieder zögerte sie. »Versprecht Ihr mir, dass Ihr es mich jedes Mal wissen lassen werdet, wenn Ihr hier seid?«
Strahlend ergriff er ihre Hand und führte sie dicht an seine Lippen. »Jedes Mal«, hauchte er auf ihre Haut. Er hielt ihren Blick einen Moment lang gefangen, und sie musste ein Schaudern unterdrücken, als ihr der tiefe, ernste Unterton in seiner Stimme auffiel. Er beugte sich vor. Der Duft von Euthymienholz drang ihr in die Nase. Ehe sie seine Absicht erkannte, lagen seine Lippen auf ihren. Der erste Schock wich der Neugier, als ein warmes Gefühl in ihr aufstieg. Sie widersetzte sich ihrem ersten Impuls, zurückzuweichen, und kam ihm stattdessen entgegen, dehnte den Kuss in die Länge. Ein Bild von ihr und Lodesh fiel durch die vielen Schichten ihres Geistes vor ihr inneres Auge herab: eine Vision von ihnen beiden unter den Euthymienbäumen, die Musik von Trommeln und Flöten, ihr Herz, das nicht nur vom Tanzen klopfte, und ein Gefühl, das sie zum Aufbruch drängte – doch sie wollte nicht.
Der Griff der Teekanne entglitt ihren Fingern, und die Kanne knallte zu Boden.
Erschrocken wich Alissa zurück. Mit brennenden Wangen blickte sie auf die hin und her schaukelnde Teekanne hinab. Sie spürte eine seltsam warme Kühle auf den Lippen.
»Lasst mich Euch helfen«, sagte Lodesh und hob die Kupferkanne auf, als sei nichts geschehen.
»Ja. Danke«, stammelte sie und nahm die Kanne, die er ihr hinhielt, ohne ihn anzusehen. »Ich … ich muss das jetzt Strell bringen.« Sie trat einen Schritt zurück. »Äh, er würde Euch gern kennen lernen. Ich hole ihn rasch, das dauert nur einen Augenblick. Ich bin gleich wieder da.« Sie ergriff die
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