Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
Anscheinend konnte sie nicht mehr tief genug einatmen, um richtig Luft zu bekommen, und sie zitterte von der Anstrengung, nichts zu unternehmen. Der Drang, sich zu erheben und ihm ihren Quellenstaub zu entreißen, war so stark, dass sie ihn beinahe bitter auf der Zunge schmecken konnte. Ihr Vertrauen in Nutzlos war das Einzige, was sie davon abhielt.
»Nichts. Der Staub ist in Ordnung. Dir fehlt auch nichts. Es ist nur …« Nutzlos brach ab und wandte sich ihr zu. »Es ist alles noch da«, flüsterte er, »und beinahe schon gebunden. Du hast die ersten Schritte unwissentlich bereits getan.« Seine bernsteinfarbenen Augen weiteten sich zu einem Ausdruck schieren Entsetzens. »Hier! Nimm ihn. Nimm ihn zurück!«, schrie er und drückte ihr das Säckchen in die Hand.
Alissa griff gierig danach und hätte es in ihrer verzweifelten Hast beinahe fallen lassen. Der Klauengriff des Misstrauens, das beständig an ihr gezerrt und sie dazu gedrängt hatte, zuzuschlagen, lockerte sich endlich. Sie saß da, schützend über ihrem Quellenstaub zusammengekauert, und wagte es nicht, Nutzlos anzusehen, während sie darauf wartete, dass das Dröhnen in ihrem Kopf nachließ. Als sie schließlich aufblickte, hatte er den Kopf in den Händen geborgen und murmelte vor sich hin. Alissa schnappte den Namen »Keribdis« auf, und ein paar Worte, die wie »unbesonnenes Zutrauen« und »alter Narr« klangen.
»Entschuldigung?«, fragte sie mit krächzender Stimme und streckte die Hand aus, um sich an der Bank abzustützen, weil sie beinahe vornüber gekippt wäre.
Nutzlos schüttelte den Kopf. Sein Blick wirkte müde, und er sah alt aus, wie er da so im Feuerschein auf der steinernen Bank saß. »Ich bitte dich um Verzeihung, Alissa«, flüsterte er. »Ich hätte dich niemals darum gebeten, wenn ich das gewusst hätte. Deine Selbstbeherrschung ist … bemerkenswert, wenn man dein jugendliches Alter bedenkt, und ich weiß sie sehr zu schätzen.«
Alissa schaffte es endlich, tief durchzuatmen, und ihre Schwindelgefühle verblassten zu einer bloßen Erinnerung. »Ich verstehe Euch nicht.«
Verlegen runzelte Nutzlos die Brauen und sah sich um, als suche er nach Beschäftigung. Mit einem leisen Stöhnen der Erleichterung griff er nach der Teekanne und leerte sie in seinen Becher. »Dein Quellenmaterial ist schon fast gebunden«, nuschelte er hinter seinem Becher hervor, als würde das alles erklären.
»Das sagtet Ihr bereits.« Sie seufzte und fragte sich, ob es ihm vielleicht unmöglich war, einfach geradeheraus zu antworten.
»Ich hätte dich nicht darum bitten dürfen, es mir anzusehen, geschweige denn seinen Wert einzuschätzen«, sagte er. »Das tut mir aufrichtig leid.«
»Warum?«
»Weil«, erklärte er geduldig, »deine Seele sich bereits darumgelegt hat. Diesen Quellenstaub zu verlieren würde bedeuten, dass du nur noch halb du selbst wärst, weniger sogar.« Nutzlos wandte sich ab. Eher an sich selbst denn an sie gerichtet, fügte er hinzu: »Wie du seinen Verlust auch nur für diesen kurzen Augenblick ertragen konntest, ist mir unbegreiflich. Ich könnte das nicht. Es tut mir leid.«
»Ich war schon einmal verloren«, sagte Alissa mit leiser Stimme, und er wandte sich um und starrte sie an. »Die Herrin des Todes hat mich gezeichnet. Ich habe sie gesehen, sie erkannt. Ihr, Nutzlos«, sagte sie mit dünnem Lächeln, »seht ihr überhaupt nicht ähnlich. Denkt einfach nicht mehr daran.«
Er ließ den Kopf hängen. »Schon einmal verloren«, hauchte er in seinen Becher. »Das könnte es erklären.«
Alissa sah zum Himmel auf. In wenigen Augenblicken würde der Morgen dämmern. Das Frühstück würde zu spät in den Übungsraum kommen. Es war ihr gleich. »Könntet Ihr mir wohl sagen, wie ich diese Bindung richtig zu Ende bringe?«, bat sie, denn nun war sie sicher, dass die Antwort Ja lauten würde.
Nutzlos blinzelte. »Äh – erschaffe ein Feld darum. Das ist alles, was in diesem Stadium noch erforderlich ist. Der Rest geschieht ganz instinktiv – denke ich. Aber, Alissa? Benutze ein undurchlässiges Feld. Du willst schließlich deinen gesamten Quellenstaub aufnehmen, nicht nur das, was ein durchlässiges Feld halten kann.«
»Aber Bewahrer kennen das doch gar nicht«, sagte Alissa und begann gleichzeitig, das komplexe Begrenzungsfeld aufzubauen. »Wie sollten sie den Staub richtig in sich binden, wenn sie … sie …« Der Gedanke entglitt ihr, als ihr Feld vollständig aufgebaut war. Die Außenwelt wurde zu einem
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