Alissa 2 - Die geheime Wahrheit
verlegenen Umarmung umfasste.
Er bog den Hals zurück und blinzelte in offensichtlicher Überraschung, und sie fügte hinzu: »Dafür … dafür, dass Ihr in jener ersten Nacht zurückgekommen seid. Dafür, dass Ihr mich unterrichtet«, stieß sie hastig hervor. »Dass Ihr mich nicht …« Alissa zögerte und fühlte sich unzulänglich in ihrer mangelnden Gewandtheit. Wie bedankte man sich bei jemandem, der einem nicht nur die Tür zu den eigenen Möglichkeiten geöffnet, sondern sie dann auch noch aus den Angeln gerissen hatte, so dass sie nie wieder geschlossen werden konnte?
Nutzlos senkte den Kopf, und der warme Duft von Holzrauch drang ihr in die Nase. In seiner augenblicklichen Gestalt konnte er nicht laut sprechen, was vermutlich auch besser so war. Er bleckte die Zähne zu einem Ausdruck, der zweifellos ein Lächeln darstellen sollte, und deutete mit einer bösartig aussehenden Klaue auf die Feuerstelle; gehorsam wich sie zurück. Er warf ihr einen letzten, langen, unergründlichen Blick zu, und dann schwang Nutzlos sich in die Luft und ließ Schnee und Eis und die Blätter des vergangenen Herbstes hinter sich aufwirbeln.
Sie blieb zurück, zwischen Büschen und Unkraut wie am Boden festgenagelt, und sah zu, wie Kralle trotzig kreischte und sich auf ihn hinabstürzte. Nutzlos peitschte wild mit den Flügeln, kämpfte darum, an Höhe zu gewinnen, und schlug mit dem Hinterbein aus, als Alissas kleine Beschützerin ihm zu nahe kam. Er erhob sich über die Feste, und die Sonne, die noch nicht den Turm erreichte, tauchte ihn in leuchtendes Gold.
Niedergeschlagen schob Alissa mit dem Ast, den sie für diesen Zweck hier aufbewahrte, das Feuer auseinander. Ja, mit einem undurchlässigen Feld hätte sie es schneller löschen können, doch das war unnötig, wie Nutzlos gesagt hätte. Sie schnappte sich die leere Kanne, drei Becher und ihre erloschene Kerze und machte sich auf den Weg zur Küche. Hinter sich hörte sie das Rauschen von Nutzlos’ Schwingen und das Kreischen ihres Vogels. Sie machten heute eine Menge Lärm, beinahe so, als sei es ihnen gleich, ob man sie bemerkte. Alissa hoffte nur, dass Bailic Nutzlos nicht entdecken würde. Der gefallene Bewahrer war schließlich nicht blind, er sah nur schlecht.
Alissa kam um eine Kurve des verschneiten Pfades und wäre beinahe mit dem misstrauischen Mann persönlich zusammengeprallt. »Was …?«, stammelte sie und starrte entsetzt auf die hohe Gestalt, die sich dünn und schwarz vom Schnee abhob. »Was tut Ihr hier draußen?«
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D asselbe wollte ich dich gerade fragen, meine Liebe.« Bailic blickte mit zusammengekniffenen Augen in den Himmel, erhellt von der eben aufgegangenen Sonne, und folgte den Bewegungen von Nutzlos und Kralle hinter ihrem Rücken.
Plötzlich war Alissa eiskalt. Sie zog ihren Mantel fester um sich und war unendlich froh darüber, dass sie Nutzlos’ Mahnung, sich zu benehmen, beherzigt und ihr Feuer auf ganz alltägliche Weise gelöscht hatte. Es wäre auf der Stelle vorbei gewesen, wenn sie ihr Versprechen gebrochen und Bailic etwas bemerkt hätte. Zurückha l tung und Selbstbeherrschung, dachte sie fieberhaft. Das ist alles, was über Erfolg oder Versagen, Leben oder Tod entscheidet.
Sie verzog das Gesicht, als sie Kralles neuerliche Schreie vernahm, und fragte sich, ob Bailic etwas bemerkt hatte. Dann straffte sie entschlossen die Schultern. Sie hatte nichts Verbotenes getan. Sie konnte im Garten sitzen, wann immer sie wollte. Das mochte fragwürdig aussehen, aber beweisen konnte er ihr nichts – oder doch?
»Wir haben uns Sorgen gemacht«, erklärte Bailic knapp. »Lass mich dir helfen, deinen … Tee in die Küche zu bringen.«
Sie reichte ihm die leere Kanne, und der Blick seiner wässrigen Augen huschte zu den drei Bechern in ihrer Hand, einer angeknackst von seinem unfreiwilligen Absturz. »Das sind Talo-Toecans Becher«, sagte er und wich mit einer Mischung aus Wut und Erschrecken zurück. »Er war hier bei dir?«
Sie warf mit einer trotzigen Kopfbewegung das Haar zurück und schob sich an ihm vorbei, den Blick fest auf die Küchentür gerichtet. »Er mag meinen Tee«, sagte sie über die Schulter zu ihm. »Er spielt mit Kralle. Wir unterhalten uns.«
Bailic eilte ihr nach. »Du überbringst ihm Botschaften.«
Alissa trat nervös die Tür mit dem Fuß auf. »Talo-Toecan würde sein Wort nicht brechen.« Der richtige Name ihres Lehrmeisters fühlte sich auf ihren Lippen seltsam an, doch vor Bailic konnte
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