Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Aber lass mein Buch nirgendwo liegen, wo es feucht werden könnte.«
»Auf dem Dach«, nuschelte Connen-Neute. Er zupfte seine Weste zurecht und stand auf. »Soll ich morgen auf sie aufpassen?«
Redal-Stan reckte die Hände zur Decke. Sein Rücken knackste mehrmals, und er stöhnte leise. »Ja. Sei so gut.«
»Was ist mit heute Nacht?«, fragte der junge Meister. »Sie hat sich geweigert, das Schlafmittel zu nehmen.«
Redal-Stan kicherte. »Du hast also auch gesehen, wie sie die Pastille in meinen Becher geschmuggelt hat, ja? Nein. Sie wird heute Nacht schon nicht verwildern, solange niemand Bestie aufregt oder verängstigt.« Er dachte nach. »Ich sehe nach ihr.«
Connen-Neute nickte. »Aber morgen könnte sie verwildern?«
»Ja.« Seine Stirn runzelte sich vor Sorge. »Morgen, übermorgen, nächste Woche. Das hängt von Dingen ab, die ich noch nicht durchschaue. Ich hoffe, je länger wir Bestie davon abhalten können, fortzufliegen, desto mehr Chancen hat Alissa, neue Beziehungspunkte zu finden.«
»Sie könnte also in zwei Wochen so viele Punkte finden, wie sie in ihrem bisherigen Leben hatte?«, fragte Connen-Neute hoffnungsvoll und sank in sich zusammen, als Redal-Stan den Kopf schüttelte. »Dann werde ich sie morgen begleiten«, sagte er laut. »Um Bestie zu ermahnen, falls sie wieder – dominant wird.«
Redal-Stan schloss kurz die Augen. »Wenn sie dir Schwierigkeiten macht, sag ihr, ich hätte ihr die Aufgabe übertragen, mit dir das Sprechen zu üben. Ich nehme übermorgen, mit der Ausrede, ich wolle sie unterrichten. Um die Tage mache ich mir eigentlich keine allzu großen Sorgen. Nachts scheint Bestie stärker zu werden.«
Connen-Neute nickte ihm zu, nahm das Buch, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Redal-Stan trat auf seinen Balkon, angelockt vom eben aufgegangenen Mond. Wie Connen-Neute gesagt hatte, war es sehr spät, doch ihm wirbelten zu viele Gedanken durch den Kopf. Es war unwahrscheinlich, dass er Schlaf finden würde. Er spürte ein Zupfen an seinem Geist, als Connen-Neute sich auf dem Dach verwandelte, und lächelte in sich hinein. Redal-Stan hatte selbst viele Nächte auf dem Dach verbracht und den Luftströmen zugesehen, die um die Sterne wehten. Doch nun, im hohen Alter nach einem langen Leben, gab er sich mit seinem Balkon zufrieden. Der offene Himmel war für die Jungen.
Achtlos ließ er sich in seinen Sessel auf dem Balkon fallen und bog und streckte die Finger. Die leichte Verbrennung von dem heißen Tee war weg. Es war ein seltsames Gefühl, wieder auf der anderen Seite des Lehrer-Schüler-Verhältnisses zu stehen. Alissa besaß die Gaben einer geborenen Lehrerin. Sie hatte alle seine Fragen mit geduldigem Verständnis beantwortet, das gar nicht ihrer üblichen hitzigen Art entsprach. Und seine Hand – er betrachtete sie erstaunt – war geheilt.
Redal-Stan lehnte den Kopf zurück, schloss die Augen und erinnerte sich an ihre aufmerksame Unterweisung. »Nein«, hatte sie gesagt. »Ihr braucht nichts über Anatomie an sich zu wissen. Ihr heilt gar nichts, Ihr facht nur die umgebende Energie so stark wie möglich an. Der Körper benutzt sie, wie er es für richtig hält, und der Körper weiß, wie er sich selbst heilen kann.«
Und das fühlt sich so gut an!, dachte er und konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Als läge man in einem Sonnenstrahl oder trage den Sonnenstrahl in sich. Allein die Erinnerung an den Bann schien ihn zu wärmen. Connen-Neute war beinahe eingeschlafen, als Alissa den Bann an ihm demonstriert hatte. Nachdem Redal-Stan gesehen hatte, wie sich die eher belustigte Haltung des jungen Meisters in ein genüssliches Räkeln verwandelt hatte und ihm der Kopf schwer geworden war, hatte er entschieden, sich lieber selbst zu heilen. Er hatte sich die Resonanz eingeprägt, die Zustimmung seiner »Lehrmeisterin« eingeholt und es selbst versucht, nur um dann dennoch beinahe einzunicken.
Ein Windhauch, der schon das Versprechen von Morgenfrost mit sich trug, strich über ihn hinweg. Er zog sich vor der plötzlichen Kühle nach drinnen zurück und sehnte sich zum ersten Mal seit Jahrhunderten nach der Hitze seines Tieflands, die einem bis in die Knochen drang. Rastlos ging er zum Schreibtisch, um Papier und Feder zu holen. Mit einem raschen Gedanken verdoppelte er die Leuchtkraft der Lichtkugel, die er auf dem Schreibtisch liegen gelassen hatte. Alissa, überlegte er, durfte einfach nicht verwildern. Die Vorstellung, dass dieser widerspenstige,
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