Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
nervtötende, flinke und kluge Geist sich den Reihen der Verlorenen anschließen könnte, war unerträglich. Doch er gab ihr kaum mehr eine Woche, trotz Besties williger Mitarbeit.
Es würde auch kein leichter Verlust werden, sondern ein Abschied, der sich lange hinzog, schmerzhaft für alle Seiten. Jetzt schon begann Bestie selbstsicherer aufzutreten. Alissa hatte sie noch im Griff, doch ihr entglitt immer öfter die Kontrolle. Bald würde eine albtraumhafte Phase der Verwirrung kommen, in der man Alissa eine Frage stellte und Bestie antwortete. Er war sicher, das Bestie unglücklich sein und sich vielmals entschuldigen würde, doch so etwas würde immer öfter vorkommen. Ein, zwei Tage, und Alissa würde noch mehr verblassen und eine verängstigte Bestie in einer Welt zurücklassen, die sie kaum begreifen konnte. Schließlich würde Bestie eines Morgens ohne jede Erinnerung an Alissa aufwachen und davonfliegen.
Es war unvermeidlich. Es war undenkbar. Das durfte nicht geschehen. Nicht, wenn er irgendeine Möglichkeit hatte, es zu verhindern. Doch er wusste, dass es keine gab. Er musste aufhören, sich einzubilden, dass es eine geben könnte, und sich auf die noch unmöglichere Aufgabe konzentrieren, sie in ihre eigene Zeit zurückzuversetzen. Zurück zu ihrem Leitstern, zu Strell.
»Strell«, flüsterte er und tauchte die Feder ein. Was, wenn sie tatsächlich zu ihm zurückkehrte? Sie hatte gesagt, es sei niemand mehr da, außer Talo-Toecan. Und Talo-Toecan würde eine Verbindung zwischen einer Meisterin und einem Gemeinen niemals gestatten. Meisterin und Bewahrer vielleicht eher, da offenbar starker Mangel an passenderen Partnern herrschte.
Er zögerte und griff nach seinem Tee. Er hatte den Becher schon an die Lippen geführt, als ihm das Schlafmittel wieder einfiel. Lächelnd stand er auf und kippte den Tee vom Balkon.
»Strell ist ein Gemeiner«, flüsterte er, kehrte zum Schreibtisch zurück und begann die möglichen Signaturen eines Mannes aus dem Tiefland zu notieren. Dann schloss er alle mit vier oder mehr rezessiven Allelen aus, die Strell zu einem Bewahrer machen würden. Jene mit dominanten Tiefland-, zwei rezessiven Küsten- oder zwei rezessiven Hochland-Allelen galten ebenfalls als höchst unwahrscheinlich. Die tödlichen Kombinationen konnte er natürlich gleich auslassen. Als er fertig war, brütete er über den verbliebenen Signaturen. Jede davon wäre möglich. Keine würde es in Talo-Toecans Augen wünschenswert erscheinen lassen, dass Alissa Kinder von Strell bekäme. Er kritzelte weiter und seufzte, als sich die Wahrheit herausstellte. Das Beste, was sie mit ihm erhoffen konnte, wären Bewahrer. Es bestand eine beunruhigend hohe Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder Gemeine wurden oder, schlimmer noch, Shaduf.
Die Feder wurde sacht beiseitegelegt. »Talo-Toecan wird das verbieten«, sagte er. Redal-Stan konnte sich die hitzigen Szenen lebhaft vorstellen. Er kannte Alissa noch nicht lange, doch eines war offensichtlich: Wenn man ihr irgendetwas verbot, war das praktisch eine Garantie dafür, dass sie genau das tun würde. Was auch immer Talo-Toecan unternahm, ihr genetisches Erbe würde verloren gehen. Wenn sie sich mit ihrem Gemeinen vereinigte, würden ihre Kinder kein vollständiges neuronales Netzwerk besitzen. Wenn man ihr Strell verbot, würde sie sich weigern, sich mit irgendjemandem sonst zu vereinigen.
Talo-Toecan würde ein Risiko eingehen und ihr erlauben müssen, diese Entscheidung selbst zu treffen, in der Hoffnung, dass sie verantwortungsbewusst genug war, auf ihre Wünsche und Strell zu verzichten und das zu tun, was das Beste für die Feste war. Wenn nicht, würde die Feste das so dringend benötigte frische Blut verlieren, das sie einbringen könnte.
»Genau so, wie sie meines verloren haben«, murmelte er und fragte sich, ob es vielleicht sein unbeugsamer Stolz sein würde, der die Feste zu Fall brachte. Die Meister waren stark darauf angewiesen, dass neue Gene ihre schwindende Population bereicherten, und genau diese Auffrischung brachten ihnen ihre Transformanten. Vor Jahrhunderten, als er erfahren hatte, dass seine Geburt zum Nutzen der Meister gezielt herbeigeführt worden war, hatte er sich geschworen, Junggeselle zu bleiben. Er war sich vorgekommen, als betrachte man ihn nur als – Zuchthengst. Sein Stuhl quietschte, als er sich zurücklehnte. Genau das hatte Alissa den Meistern vorgeworfen. Vielleicht hatte sie recht.
Wenn sie sich mit einem Bewahrer vereinigte,
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