Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
letzte Vorschlag aufgenommen worden war. Sie wünschte, sie könnte sich überwinden, Fleisch zu essen, nur dieses eine Mal, um den Spaß mitzumachen.
»Alissa stammt aus dem Hochland«, sagte Nisi. »Sie hat einen feineren Geschmack als du, Gury.«
»Geröstetes Brot genügt mir«, erklärte Alissa, ließ den Blick über den Tisch schweifen und fand keines.
»Geröstetes Brot!«, bellte eine Männerstimme. »Mav! Wir brauchen geröstetes Brot!«
»Ist schon gut«, protestierte Alissa. »Ich esse Rührei.« Und damit lud sie sich einen großen Löffel Ei auf ihren Teller.
»Unsinn.« Gury stibitzte seinem Tischnachbarn ein Stück kandiertes Obst. »Du möchtest geröstetes Brot«, nuschelte er mit vollem Mund.
Es wurde lauter, während sie aß, denn die anderen nahmen ihre Unterhaltung wieder auf. Alissa bemerkte die gestiegene Aufregung. Sie hatten mit ihren jeweiligen Lehrmeistern ein Hühnchen zu rupfen und freuten sich schon auf die neue Herausforderung. Diese Menschen waren bereit, sie zu akzeptieren, im Gegensatz zu jenen, bei denen sie früher gelebt hatte, und sie hatte erst eine Bergkette und fast vierhundert Jahre überwinden müssen, um sie zu finden.
»Hier, Alissa«, flüsterte eine trübselige Stimme.
Es war Kally, und sie stellte einen Teller vor Alissa ab und verschwand wieder, ehe Alissa auch nur danke sagen konnte. Auf dem Teller lag eine Scheibe Brot. Sie war verkohlt. Alissa griff danach und drehte sie um.
Auf beiden Seiten.
Sie und Nisi starrten darauf hinab. Langsam griff Alissa nach der Marmelade, und Nisi verzog das Gesicht. »Die willst du doch nicht essen, oder?«
Alissa seufzte. »Nachdem ich sie abgekratzt habe.« Manche Dinge änderten sich eben nie.
»Kally kann dir eine neue bringen«, protestierte Nisi.
Als hätte Nisi sie damit heraufbeschworen, erschien Kally wieder an Alissas Seite. Ihre Augen waren rot gerändert, ihr Haar zerzaust. »Entschuldigung«, murmelte das Mädchen kaum hörbar. »Ich bringe Euch gleich neues Brot.«
Ohne Alissa in die Augen zu blicken, ging sie davon, wobei die Brotscheibe fast vom Teller rutschte. Nisi und Alissa sahen ihr nach, bis sie in der Küche verschwand. »Bei den Hunden«, flüsterte Nisi. »Die hat aber schlimmen Liebeskummer.«
Alissa schluckte schwer. Ihr schlechtes Gewissen zwickte heftig, und ihre Finger strichen unwillkürlich über das Band, das sie sorgsam zusammengerollt in der Tasche trug. »Äh, Nisi? Bitte entschuldige, aber ich muss mit Kally sprechen.«
Nisi stellte ihren Becher hin. »Hätte ich mir denken können, dass du ihm die Tür aufgemacht hast.«
»So etwas in der Art.« Sie rutschte unruhig herum. Es war nicht nett, Nisi einfach allein sitzen zu lassen.
»Geh schon.« Nisi winkte sie mit einer Handbewegung hinaus. »Wenn ich nachher nicht mehr hier sitze, bin ich in meinem Zimmer – muss mal aufräumen. Lass dir Zeit. Kally braucht vielleicht eine Schulter zum Ausweinen. Oder jemanden, den sie anschreien kann.«
Alissa war froh, dass Nisi sie verstand, und lächelte zum Abschied. Auf halbem Weg zur Küche stutzte sie. Was hatte Nisi damit gemeint, »jemanden, den sie anschreien kann«?
Alissa rümpfte die Nase über den Gestank nach gebratenem Fleisch, als sie die Küche betrat. Kein Wunder, dass Connen-Neute sich hier so wohlfühlte. Sie entdeckte ihn in einer Ecke, wo er im Schneidersitz dahockte und mit ernster Miene Hühnchenreste stibitzte. Er ignorierte alle und wurde auch von ihnen ignoriert. Seine Augen wirkten in dem langen Gesicht so tief und ernst wie die einer Eule. Er zuckte mit den Schultern und setzte seinen Mundraub fort.
»Ah, Alissa!«, rief Mav. »Was kann ich für dich tun, Liebes?« Sie rammte die Fäuste in den schweren Teig, den sie gerade knetete.
Alissa wand sich durch die eifrigen Küchenhelfer. »Hallo, Mavoureen.« Sie setzte sich auf die Tischkante und ließ die Beine baumeln. Kally stand allein am kleinsten Feuer und rührte in einem Topf.
»Es ist schön zu sehen, dass du nun dein Frühstück da einnimmst, wo es sich für dich gehört«, sagte Mav und rückte energisch dem Teig zuleibe. »Das mit dem verbrannten Brot tut mir leid.« Die alte Frau folgte Alissas Blick zu Kally. »Sie hatte die Scheibe schneller auf dem Teller und bei dir draußen, als ich hinschauen konnte. Seit ein paar Tagen ist sie zu nichts zu gebrauchen.« Mav schnitt den Teig in faustgroße Klumpen und legte sie auf ein Blech. »Sie rührt einen Topf Wasser um, stell dir vor. Ich habe ihr gesagt,
Weitere Kostenlose Bücher