Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
nicht übel, Lodesh, aber du kommst als Vogt nicht einmal in Betracht.«
»Natürlich nehme ich Euch das nicht übel«, erklärte Lodesh unüberhörbar erleichtert.
Sie hörte Stoff zischeln, und die Wärme des Feuers drang nicht mehr zu ihr. »Also, wer ist sie?«, erklang die Stimme so nah, dass Alissa fast die Augen aufgerissen hätte.
Lodesh seufzte. »Ich weiß es nicht. Ich habe sie im Garten gefunden.«
»In Strümpfen?«
Eine Pause entstand, und Alissa konnte Lodesh beinahe grinsen sehen. »Sie klingt, als käme sie aus Ese’ Nawoer, aber ich kenne sie nicht.«
»Und du kennst alle hübschen Mädchen in der Stadt, nicht wahr?«, neckte die Stimme.
»Ich kenne alle Mädchen, ob hübsch oder nicht«, erwiderte Lodesh ein wenig verletzt. »Und Redal-Stan, ganz gleich, was Ihr morgen vielleicht hören werdet, sie ist nicht wahnsinnig.«
Sie hörte, wie jemand im Feuer herumstocherte, und eine Woge der Hitze besänftigte ihre plötzliche Furcht. Es war Redal-Stan. Sie öffnete die Lider einen Spaltbreit und sah schattenhafte Umrisse, vom Feuer schwach beleuchtet.
»Wahnsinnig?«, hauchte der Meister vom Feuer her. »Ist das die allgemeine Meinung?«
»Earan« – Lodesh spie den Namen förmlich aus – »fordert, sie als wilde Bewahrerin zu verurteilen.«
»Hrmpf?« Das war ein ungläubiges, grollendes Räuspern, und sie schloss die Augen wieder.
»Sie hätte ihm beinahe die Pfade verbrannt, mit einem unbewussten Energiestoß«, erklärte Lodesh. »Er war sehr stark. Sie hat eine Quelle.«
»Im Besitz einer Quelle bei so mangelhafter Selbstbeherrschung? Das ist nicht gut«, stellte Redal-Stan nüchtern fest. Alissa spürte, wie er sich vorbeugte, und bemühte sich, weiter ruhig und gleichmäßig zu atmen. »Ich sehe dir an, dass du anderer Meinung bist«, sagte er. Eine Pause entstand. »Bitte«, beharrte Redal-Stan. »Falls es meine Entscheidung über das kleine Problem hier vor uns beeinflussen könnte, solltest du es mir sagen.«
»Alissa ist alles andere als achtlos und durchaus beherrscht«, erklärte Lodesh widerstrebend. »Auf die Gefahr hin, damit gegen meinen Bruder zu sprechen, muss ich Euch sagen, dass er sie gereizt hat. Er hat den Wahrheitsbann dazu benutzt, mehr Druck auf sie auszuüben, als ein Schüler aushalten kann.«
»Hat er das schon öfter getan?«, unterbrach Redal-Stan ihn.
»Sie hat einen unwillkürlichen Energiestoß abgegeben«, sagte Lodesh. »Aber sie hat es gemerkt und einen Lichtbann aufgebaut, um die Energie abzuziehen, bevor sie explodieren konnte. Der Lichtblitz war so stark, dass ich einen Moment lang geblendet war!«, flüsterte er aufgeregt. »Als ich wieder sehen konnte, hielt sie ihn rücklings auf den Tisch gedrückt!«
»Sie besitzt die Fähigkeiten einer Bewahrerin«, brummte Redal-Stan, »die Kräfte einer Bewahrerin und möglicherweise auch die Selbstbeherrschung.« Er seufzte. »Aber keinen Meister, der sich für sie verantwortlich erklärt. Wir haben ein gewaltiges Problem. Hast du irgendeine Ahnung, wer dafür gesorgt haben könnte?«
»Dazu möchte ich lieber nichts sagen.« Lodesh klang bekümmert. »Sie hat jemanden erwähnt, aber …«
»Talo-Toecan?«, riet Redal-Stan, und Alissa spannte sich vor Schreck an.
»Ihr wisst es?«, rief Lodesh aus, doch Redal-Stan hörte offenbar nicht zu.
»Ich muss ihn zurückrufen«, sagte der Meister. »Das ist eine schwerwiegende Anschuldigung. Die Sache muss geklärt werden.«
Panik erfüllte sie, und sie konnte kaum glauben, dass die beiden nicht gesehen hatten, wie sie zusammengezuckt war. Sie würde nach Hause zurückkehren, sie musste zurück, aber sie durfte bis dahin nicht von Nutzlos gesehen werden. Er hatte sie nicht gekannt, als sie ihm begegnet war. Er durfte sie jetzt nicht sehen! »Nein!«, sandte sie wortlos einen Gedanken zu Redal-Stan, und sie hörte ihn überrascht grunzen. »Sagt ihm nichts!«
»Aber das kann bis morgen warten«, beendete Redal-Stan glatt seine Rede. »Es ist schon spät, Lodesh. Warum gehst du nicht zu Bett?«
»Ich, äh, würde Alissa gern auf ihr Zimmer geleiten, wenn es Euch recht ist.«
Redal-Stan schnaubte. »Sie scheint es hier sehr gemütlich zu haben.«
»In Eurem Sessel?«, flüsterte Lodesh erstaunt. »Ihr lasst nie jemanden in Eurem Sessel sitzen, geschweige denn darin schlafen!«
»Ich weiß nicht, wohin mit ihr«, erklärte Redal-Stan geduldig. »Sobald ich herausgefunden habe, ob sie eine Bewahrerin oder eine Schülerin ist, werde ich ihr ein Bett
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