Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
Kugel aus Willenskraft sich um Earan legte. Verzweifelt stellte sie fest, dass diese genug Kraft enthielt, um seine Pfade zu Schlacke zu verbrennen. Es war zu spät, um sie zurückzuziehen. Aber sie konnte die Energie umlenken, bevor sie Schaden anrichtete. Rasch formte sie ein Feld in der Luft über Earan und gab einen Lichtbann hinein. Er enthielt kaum genug Energie, um ein paar Augenblicke durchzuhalten, und blieb unbemerkt. Doch nicht mehr lange …
Alissa schloss die Augen gegen den bevorstehenden Blitz. Ihre unwillkürlich freigesetzte Energie schlüpfte in den Bann statt in Earans Pfade, angezogen von diesem leichteren Weg. Die lautlose Explosion zeichnete sich rot hinter ihren geschlossenen Augenlidern ab. Überraschte Schreie waren zu hören. Lodeshs Hand fiel von ihrer Schulter.
Mit wild pochendem Herzen sah sie plötzlich, dass sie auf Earan zustürzte. In ihrer Konzentration, ihn zu retten, hatte Bestie die Kontrolle über ihren Körper übernommen.
Alissa prallte gegen Earan, ihre Knie landeten an seiner Brust und drückten ihn auf den Tisch nieder. »Sie will nicht antworten«, knurrte Bestie durch ihren Mund. »Und wenn du nicht damit aufhörst, reiße ich dir die Kehle heraus.« Ihre Lippen waren nur einen Fingerbreit von seinem Gesicht entfernt. Seine Augen waren glasig vor Angst.
»Bestie!«, ermahnte Alissa sie in Gedanken. Erschrocken erkannte ihr zweites Bewusstsein, was es getan hatte, und verkroch sich zutiefst beschämt im hintersten Winkel von Alissas Geist. Die Wildheit in Alissas Körper verpuffte. »Ich … es tut mir leid«, stammelte Alissa und rutschte von seiner Brust auf den Boden. Unsicher und verängstigt wich sie zurück, bis sie beinahe im Feuer stand, und schlang fest die Arme um ihre Brust. Alle starrten sie mit weit aufgerissenen Augen und entsetzten Mienen an.
»Die Wölfe sollen dich holen«, flüsterte Earan heiser, als er sich aufrichtete und versuchte, seinen Schrecken mit Zorn zu überspielen. »Du hast eine Quelle. Die kleine Hochland-Schlampe besitzt eine Quelle. Du bist eine wilde Bewahrerin!«
Nisi schnappte nach Luft und wurde kreidebleich. Alissa erstarrte. Wenn ein wilder Bewahrer gefunden wurde, verbrannte man seine Pfade zu unbrauchbarer Asche.
»Das passt«, sagte Earan in das furchtsame Schweigen hinein. »Es erklärt ihre Kleidung und warum sie ohne Stiefel im Garten abgeladen wurde. Ich glaube, sie ist nicht nur wild, sondern auch wahnsinnig!«
»Wahnsinnig?« Breves Blick huschte zu Alissa und wieder weg.
»Ich sage euch, sie wurde zu einem Meister hingezogen, als derjenige sich zu lange an einem Fleck aufgehalten hat, so ähnlich, wie es den Bewahrern ging, bevor die Feste erbaut wurde«, erklärte Earan laut und barsch. »Und da dieser Meister erkannte, dass sie wahnsinnig war, unterrichtete er sie in der alten Schule, allein und ohne jede Aufsicht, bis sie genug wusste, um den Rest davon zu überzeugen, dass man sie nicht zur Gemeinen verbrennen sollte.«
Es herrschte Totenstille. Alissa versuchte, ihre Angst zu zügeln. Sie würden ihr nicht die Pfade verbrennen. Sie würde mit jemandem sprechen, ihn davon überzeugen, wer sie war, doch wenn sie das zu erklären versuchte, würde man sie ganz gewiss für verrückt halten. Wie konnte sie auch jemanden davon überzeugen, dass sie nicht den Verstand verloren hatte, wenn sie sich selbst nicht ganz sicher war?
»Ich werde dafür sorgen, dass sie als wilde Bewahrerin verurteilt und ihr die Pfade zu Asche verbrannt werden!«, brüllte Earan. Er stürmte hinaus in die große Halle und hinterließ in Alissa eine Kälte, die auch das Feuer nicht vertreiben konnte.
Nisi räusperte sich, sah, wie Alissa ängstlich die Arme um sich schlang, und streckte die Hände aus, eine förmliche Begrüßungsgeste. »Männer – die schaffen es, selbst eine einfache Vorstellung in ein Drama zu verwandeln.« Sie seufzte. »Ich bin Nisi Tak, Bewahrerin.« Ihre Hände berührten leicht und kühl Alissas hastig hingestreckte Handflächen. »Ich entschuldige mich für Earan …«
»Ihr seid aus dem Hochland«, platzte Alissa heraus und verzog dann das Gesicht. Sie hatte Nisi noch gar nicht ihren Namen genannt. »Alissa Meson«, sagte sie.
»Auch aus dem Hochland?«, fragte Nisi sanft, und Alissa nickte. Zum ersten Mal seit Monaten wurde sie sich wieder ihrer skandalösen Erscheinung bewusst, der man die Mischung aus Tiefland und Hochland deutlich ansah. »Ich fürchte, wir haben Euch nicht so in Empfang genommen, wie es
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