Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
hielt den anderen Mann an. »Was wollte er?«
Reeve zögerte. »Er wollte wissen, ob du mit dem Status zufrieden wärst, den ich dir vererben kann.«
»Ja! Den Hain zu hegen ist alles, was ich will.«
»Bist du sicher?«, fragte der andere leise, aber beharrlich. »Du könntest die Fähigkeiten, die ich dich gelehrt habe, leicht zu einer feineren Berufung nutzen als der eines Gärtners.«
Lodesh schnappte beinahe verängstigt nach Luft. »Das hier bin ich«, sagte er ein wenig zu laut. »Ich habe herausgefunden, was ich gut kann und was mir Freude macht, und ich habe das Glück, dass beides ein und dasselbe ist, und es hat mich nicht mein halbes Leben gekostet, das zu entdecken.«
Reeve lächelte ihn mit stillem Stolz an. »Wann bist du so weise geworden, Lodesh?« Der Mann wandte den Blick ab, und Lodesh wusste sogleich, warum.
»Sie wollen, dass ich in die Zitadelle zurückkehre«, sagte Lodesh und erstarrte, als Reeve nickte.
»Man glaubt, die Gemahlin deines Onkels sei unfruchtbar.« Erst jetzt konnte Reeve Lodesh wieder in die Augen sehen, und sein Blick schien ihn anzuflehen, als wolle er seinen Sohn davon überzeugen, dass dies nicht seine Schuld war. »Dein Onkel hat vor, den Titel an deinen Vater zu übergeben, sofern die Meister und die führenden Familien einverstanden sind. Dann würde er irgendwann an eines seiner Kinder übergehen.«
Lodesh trat zurück. Ihm war kalt, und das lag nicht am Schatten der Bäume. »Ich will ihn nicht.«
Eine fleischige Hand legte sich tröstlich auf seine Schulter. »Ganz ruhig, Junge. Niemand wird einen Zweiundzwanzigjährigen zum Stadtvogt machen, aber vielleicht solltest du dir den Gedanken während der nächsten zehn Jahre oder so durch den Kopf gehen lassen. Vielleicht würde er doch ganz gut zu dir passen.«
»Ich weiß schon, dass er wunderbar zu mir passt, aber ich werde dieses Amt nicht annehmen«, erklärte er verzweifelt. »Sie können doch jemand anderen aussuchen! Es kommen mindestens ein halbes Dutzend dafür in Frage.«
»Aber deine Schwester hat es abgelehnt, sich zur Bewahrerin ausbilden zu lassen. Nur du und Earan haben eine enge Verbindung zur Feste.«
»Es hat schon Stadtvögte gegeben, die keine Bewahrer waren«, erwiderte Lodesh, nun halbwegs beruhigt, dass seine Familie nicht sofort auf ihn herabstoßen und ihn zwingen würde, sein Heim zu verlassen.
»Das stimmt«, gab Reeve zu und hielt den Blick auf die Äste hoch über ihnen gerichtet. »Aber Lodesh?« Er zögerte. »Wen würdest du lieber in der Zitadelle sehen?«
Lodesh holte tief Luft und wandte den Blick ab. »Earan ist der Älteste. Er ist die einzig logische Wahl«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme.
»Die Menschen kennen ihn nicht«, sagte Reeve.
»Das wird sich gewiss ändern«, erwiderte Lodesh kläglich, denn er wusste, dass das nicht stimmte. Doch er konnte sein Zuhause nicht verlassen, seine Bäume, an denen die einzige Erinnerung an seine erste Mutter hing, die ihn leise in den Schlaf gesungen hatte, während die Euthymienbäume blühten und der Mond am Himmel aufging.
Nach einem kurzen Schweigen sagte Reeve: »Vielleicht hast du recht.« Er richtete sich auf und ließ das Thema auf gewohnt abrupte Art fallen. Sie drehten sich um und entdeckten Alissa, die Hände in die Hüften gestemmt. Von der Mitte der Tanzfläche aus begutachtete sie königlich den Kreis der Bäume.
»Was hat dich heute wirklich hierhergeführt?«, fragte Reeve mit einem Anflug von Belustigung in der Stimme.
»Ich wollte dir Alissa vorstellen.«
Der gedrungene Mann schnaubte. »Es ist mir immer irgendwie gelungen, deine Damen kennen zu lernen, aber du hast noch nie welche einfach zu mir gebracht.«
Lodesh merkte, wie ihm das Blut in die Wangen stieg, und er zwang sich, den Blick von Alissa loszureißen. »Ich kann es mir auch nicht erklären. Es ist beinahe so, als würde sie mich schon kennen.«
»Manchmal ist das so – am Anfang«, warnte ihn Reeve, und Lodesh lachte. Der letzte Rest seiner Sorge verflog.
»Vertrau mir. Ich war schon so oft vernarrt und bin ernüchtert worden, dass ich solche falschen Gefühle erkenne, noch bevor dem Bruder mit dem übertriebenen Beschützerinstinkt etwas auffällt. Nein. Es ist wirklich so, als würde sie mich kennen.« Er schürzte die Lippen und suchte nach den richtigen Worten. »Als ich sie dir vorgestellt habe«, sagte er, »ist sie errötet. Dazu kann ich sie nicht bringen. Der Navigator weiß, wie oft ich es schon versucht habe. Es ist beinahe,
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