Alissa 3 - Die verlorene Wahrheit
trat in seine Augen, und Redal-Stan unterdrückte ein Schaudern. »Ich kann die Signatur ihrer G edanken jetzt so leicht erkennen wie meine eigene. Aber ich weiß ohnehin schon, wohin sie geflogen ist.« Connen-Neute sprang auf die Brüstung.
»Sag mir, wo sie ist. Ich hole sie«, forderte Redal-Stan.
»Sie vertraut Euch nicht. Sie würde davonfliegen, und ich glaube nicht, dass Ihr sie fangen könntet.« Damit sprang Connen-Neute vom Balkon und verwandelte sich.
Es knallte leise, als der Wind auf plötzlich geöffnete Schwingen traf, und fort war er. Redal-Stan stand allein da und wunderte sich über das Selbstvertrauen, das Connen-Neute in den wenigen Tagen gewonnen hatte, seit Alissa ihn beeinflusste. Die goldene Gestalt des Rakus verlor sich im dunstigen Sonnenschein, als er in östlicher Richtung über die Berge flog. »Vielleicht«, sorgte er sich laut, »hat man seinen Schwingen zu lange den Wind vorenthalten.«
Redal-Stan wandte sich dem zunehmenden Tumult auf dem Flur zu. Eine große Gruppe Schüler drängte sich nervös vor seiner Tür. Kally ignorierte ihren niedrigen Status und schob sich nach vorn durch. Mit großen, fragenden Augen starrte sie ihn an. »Die Deckel sind von den Mehltonnen geflogen«, sagte sie, »und ich kann die Tür zum Garten nicht schließen. Würdet Ihr bitte herunterkommen und mir helfen?« Hinter ihr kamen weitere Bewohner der Feste stumm und mit verwirrten Mienen zum Stehen.
Niemand fragte, was geschehen war, und er weigerte sich, von sich aus darüber zu sprechen, während er sich grübelnd und methodisch durch die Flure und Säle arbeitete. Bei jedem Zimmer machte er halt und entfernte den Bann, der die Türen fixiert hatte, so dass die Bewahrer sie weder durch Muskelkraft noch durch Banne hatten schließen können. Als er die große Halle erreichte, stellte er fest, dass die äußeren Türen der Feste zu unverrückbaren Holzwänden erstarrt waren, und er war mehr als nur ein wenig besorgt. Wen oder was genau verfolgte Connen-Neute da eigentlich?
– 24 –
D ie Knie bis unters Kinn gezogen, saß Alissa auf einem großen, flachen Felsen im feuchten Duft der herabsinkenden Dämmerung jenseits der Berge. Der Wind, der von einem nahen Gipfel herabwehte, war kühl, und sie zitterte in den letzten Sonnenstrahlen. Neben ihr lag ein Haufen Kieselsteinchen, vom Fluss rund geschmirgelt. Eines nach dem anderen warf sie ins Gras. Sie zielte auf die Grillen.
Ein weiteres Steinchen zischte durch das gelbliche Gras auf den Boden, und in der Wiese wurde es still. Ihr stockte der Atem. Während sie sich noch fragte, ob sie tatsächlich eine Grille getroffen hatte, streifte eine vertraute Berührung ihre Gedanken. Sie entspannte sich und erkannte nun, warum die Grillen verstummt waren. Die anmutige Gestalt eines Rakus vollführte eine scharfe Wendung und landete eine Flügelspanne von ihr entfernt. »Hallo«, brummte sie, und ihr Blick kehrte zu ihrem Haufen Steinchen zurück.
Connen-Neute ließ sich zwischen ihr und der untergehenden Sonne nieder, stützte den Kopf auf die Vorderbeine und schlang den Schwanz um den Körper. »Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte er und schloss schläfrig die Augen.
»Du bist größer als ich«, sagte sie und schniefte. »Selbst wenn ich wollte, könnte ich dich nicht daran hindern.«
Seine goldenen Augen öffneten sich. »Ich gehe wieder, wenn du mich darum bittest.«
»Entschuldigung.« Sie hatte das Gefühl, etwa so angenehm zu sein wie eine schleimige Schlammpfütze, und rang sich ein säuerliches Lächeln ab. Seine Augen schlossen sich, und sie fügte warnend hinzu: »Ich werde nicht zur Feste zurückkehren. Du kannst mich nicht dazu zwingen.«
Connen-Neutes Haut spannte sich wellenförmig, was den Eindruck eines Schulterzuckens vermittelte. Er verschwand in einem Wirbel perlweißen Nebels, kam in seiner menschlichen Gestalt wieder zum Vorschein und saß nun mitten in dem länglichen Oval aus plattgedrücktem Gras.
»Weißt du was?«, bemerkte sie. »Mit dir zu sprechen ist noch schlimmer, als mit Kralle zu reden.«
Er grinste.
Die Grillen brachten sich erneut zu Gehör, also nahm Alissa ihr Spiel wieder auf. »Ich bin überrascht«, sagte sie, als ein Stein zischelnd zwischen die trockenen Stängel fuhr. »Ich hätte erwartet, dass Redal-Stan mir folgt und versucht, mich zurückzuschleifen.«
»Ich bin dir nicht gefolgt«, sagte er laut mit seiner ungeübten Stimme. »Ich wusste, wohin du wolltest.«
Alissa blickte mit
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