Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Frau das Essen in den Sand fallen lässt?«, fragte Alissa und verbiss sich die Tränen. Bestie hatte alles verdorben.
Als er ihre klägliche Stimme hörte, wurde Strells Miene weicher. Langsam kam er zu ihr und setzte sich neben sie. Der Teppich knickte unter ihrer beider Gewicht ein, und sie rutschte gegen Strell. Vorsichtig legte er ihr einen Arm um die Schultern. Sobald er sicher war, dass sie ihn nicht schlagen würde, wandte er mit dem Zeigefinger ihr Gesicht zu sich herum. Sie blickte auf und blinzelte erstaunt, als sie die trockene Belustigung in seinen Augen sah. Es lag kein Vorwurf in seinem Blick, und ihr wurde leichter ums Herz. Sie atmete auf.
»Das bedeutet, dass sie aus dem Hochland stammt«, sagte er, und sein liebevoller, verzeihender Tonfall war noch stärker ausgeprägt als sein Tiefland-Akzent. »Und dass die aschebedeckte Frau wertvolles Essen nicht zu schätzen weiß.«
Sie lachte, schluckte und schluchzte zugleich, und er stand auf und zog sie auf die Füße. »Komm mit«, sagte er, und seine Miene wurde grimmig. »Wir gehen und sagen es den anderen, dann haben wir es hinter uns.«
Sie wich zurück. »Das wird ihnen nicht gefallen. Sie werden es mir nicht erlauben.«
»Was können sie schon tun? Du hast Talo-Toecans Erlaubnis. Außerdem, kümmert es dich wirklich, was sie denken?«
Ihr Blick schweifte über die anrollenden Wellen in die Ferne, und sie dachte an Keribdis’ Verachtung. »Nein«, sagte sie mit einem Knoten der Angst in der Magengegend. »Aber … lass mich zuerst mit Lodesh sprechen.«
– 24 –
A lissa reckte den Hals und schirmte die Augen gegen die tief stehende Sonne ab. Sie spähte in das Blätterdach der Euthymien, die außerhalb des Dorfes auch wild wuchsen. Die ganze Insel war mit Euthymien in allen Stadien des Wachstums bedeckt. Sie würde diese Insel zu gern sehen, wenn all die Bäume blühten. »Lodesh?«, rief sie, denn sie wusste, dass er hier irgendwo war, konnte ihn aber nicht genau orten.
»Hier bin ich, Alissa!«, drang eine schwache Stimme zu ihr. Im Dämmerlicht schwankte ein Ast hoch oben in den Wipfeln.
Ihr war schlecht, und sie war froh, dass sie nur zwei Löffel von Strells Mahl gegessen hatte. Sie umklammerte die Oberarme mit den Händen und näherte sich einem kleinen Euthymienbaum, dessen Stamm zwei Menschen hätten umfassen können. Sie blickte auf und fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Wie sollte sie es ihm sagen? »Äh, kann ich dich einen Augenblick sprechen?«, rief sie laut.
»Komm herauf«, erwiderte er mit seiner melodiösen Stimme. »Die Aussicht wird dir gefallen. Ein hübscher Sonnenuntergang.«
»Aussicht«, brummte sie, starrte den glatten Stamm an und fragte sich, wie er von ihr erwartete, dort hinaufzugelangen. »Ich bin keine Ziege«, sagte sie und wusste selbst, dass sie mit ihrer Gereiztheit nur ihre Schuldgefühle überdeckte.
»Auf der anderen Seite ist eine Leiter.«
Schweigend beugte sie sich zur Seite und schaute um den Stamm herum. Sie verzog seufzend das Gesicht und machte sich an den Aufstieg. Sie war außer Atem, bis sie den Ast erreichte, auf dem Lodesh saß. Ihre bimmelnden Glöckchen verrieten sie, und er stand an der Leiter, um ihr beim Umsteigen auf den breiten Ast zu helfen. Seine Finger waren warm und umschlossen die ihren mit vertrautem Griff. Hastig setzte sie sich hin, denn es war ihr ebenso unangenehm, seine Hand zu halten, wie hier oben stehend zu balancieren. Sie blickte hinab und dachte, falls sie fiel, würde sie keine Zeit haben, sich zu verwandeln und den Wind einzufangen, ehe sie auf dem Boden aufschlagen würde. Aber ja, der Sonnenuntergang war hübsch.
Sobald Lodesh sah, dass sie sicher saß, machte er sich wieder an die Arbeit. Ein offener Kasten ruhte in einer Astgabel. Kleine Zweige lagen darin. Sie beobachtete ihn und fand, dass er sehr gut hier in die Baumwipfel passte, trotz seiner feinen Gewänder und des geschmackvollen Bewahrerhuts. Er reckte sich mit demselben feinen Gleichgewicht und Geschick nach einem fernen Zweig, das er auch beim Tanzen an den Tag legte.
»Was tust du da?«, fragte sie, weil sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte.
»Ich sammle Ableger von den männlichen Bäumen, um sie in meinem Hain zu Hause aufzupropfen.«
Schweigend sah sie zu, wie er einen weiteren, etwa handlangen grünen Zweig abschnitt und in sein Kästchen fallen ließ. »Wozu?«, fragte sie schließlich, und er lächelte.
»Ich nehme diese Ableger mit nach Hause und
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