Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
bringe sie dazu, an einem meiner Bäume anzuwachsen. Wenn sie dann das nächste Mal blühen, haben wir männliche und weibliche Blüten. Das bedeutet fruchtbare Samen.« Er knipste einen weiteren Ableger ab. »Du beherrschst nicht zufällig einen Frischebann, oder?«, erkundigte er sich. Sie schüttelte den Kopf, und er fügte hinzu: »Ich frage Connen-Neute. Ich würde meine Stadt zu gern voller Euthymienbäume sehen.«
Alissa zog die Augenbrauen hoch, als sie an das dichte Unterholz voll junger Bäume dachte, durch das sie sich hatte schlagen müssen, um hierherzukommen. »Allzu viele wären vielleicht auch nicht gut«, warnte sie ihn.
»Unsinn!« Er trat auf einen Ast, den sie für viel zu dünn hielt. »Und wenn doch, dann werden die Bettler wohlduftende Feuer haben, nicht wahr?«
Sie rang sich ein humorloses Lächeln ab, den Blick auf den fernen Boden gerichtet.
Er drehte sich um, als ihm ihr Schweigen auffiel. Sein Kopf neigte sich zur Seite, und dann sanken seine Schultern herab. »Ah«, hauchte er. »Schuldgefühle und Glück auf einmal? Das kann nur eines bedeuten.«
Sie sah ihn kurz an, schaute gleich wieder weg und wurde wütend auf sich selbst, als ihr Tränen in den Augen brannten. Asche. Wie hatte sie sich nur in diese Lage gebracht?
»Er hat dich gefragt, nicht wahr?«, sagte Lodesh, und sie nickte kläglich.
Lodesh rieb sich das Kinn und seufzte resigniert. »Ich dachte mir schon, dass er es bald tun würde. Es gibt nur zwei Gründe, weshalb ein Tiefländer sich einen Bart wachsen lässt, und Strells Vater ist schon vor Jahren gestorben.«
Überrascht blickte sie auf. Sie hatte nicht gewusst, was sie erwarten sollte, aber damit hatte sie nicht gerechnet. »Du bist nicht traurig?« Sie schluckte und kam sich nutzlos vor, wie sie da auf ihrem Ast saß und die Beine baumeln ließ.
»Natürlich bin ich traurig«, erwiderte er und hob mit einem Finger, der nach zerdrückten Blättern roch, ihr Kinn an. »Aber ich wusste, dass er dich fragen würde.« Er lächelte, und ihre eigene Traurigkeit geriet ins Wanken, als sie das schelmische Blitzen in seinen grünen Augen sah. »Und ich wusste, dass du ja sagen würdest. Ich habe nur eine Frage.«
»Was denn?«, erwiderte sie und fürchtete sich vor hundert Fragen, die er ihr stellen und die ihr das Herz brechen könnten.
»Was hat Bestie getan, als er dich geküsst hat?«
Seine Frage hing drei Herzschläge lang in der Luft. Sorge durchfuhr sie und verdrängte ihre Traurigkeit in den letzten Winkel ihrer Gedanken. Er wollte etwas über Bestie wissen? Sie sah ihn an und rieb sich den Nacken. Ihre Brauen runzelten sich bei der Vorstellung, dass er etwas wissen könnte, das sie nicht wusste. »Ich – äh – sie hat ihn niedergeschlagen«, sagte sie, und ihr wurde heiß vor Verlegenheit. »Das wird nicht wieder vorkommen. Ich habe mit ihr gesprochen«, versicherte sie ihm rasch.
Lodesh lächelte sie unter seinen blonden Locken hervor an. Er stand auf und strahlte völlige Zuversicht aus. »Doch, das wird es.«
»Nein, wird es nicht. Sie hat es nur nicht verstanden. Jetzt versteht sie es.«
Er neigte den Kopf zur Seite und sah sie belustigt an. »Ach, Alissa. Mein albernes, sturköpfiges Mädchen, so klug, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Ich liebe dich dafür, dass du darauf bestehst, immer den schwersten Weg zu wählen.«
Steif vor Ärger richtete sie sich auf. »Wie bitte?«
Er wandte sich zur Seite, holte seine Gartenschere wieder hervor und knipste einen Zweig ab. »Du weißt, dass du Strell nicht heiraten kannst. Talo-Toecan hat die Bedingung gestellt, dass deine Mutter deinem zukünftigen Mann ihre Gunst erweisen muss. Und ich bin sicher, dass Talo-Toecan dich die nächsten zehn oder zwanzig Jahre so auf Trab halten wird, dass du keine Gelegenheit haben wirst, nach ihr zu suchen. Und selbst wenn es dir wundersamerweise gelänge, sie zu finden, und sie lieber einen Handwerker zum Schwiegersohn hätte als den Herrn einer Stadt, wirst du Strell dennoch nie heiraten dürfen.«
Sie schnappte nach Luft und wollte kaum glauben, was sie da hörte. Handwerker? Strell verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Musikant, doch er war ein gebürtiger Hirdun-Töpfer! Ihn einen Handwerker zu nennen, war eine Beleidigung!
Ein weiterer Zweig fiel in das Kästchen. »Du hast die Gans deines Nachbarn gebraten, als du dich auf die Suche nach dem Rest der Feste gemacht hast«, sagte er, und in der herabsinkenden Dunkelheit schimmerten seine
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