Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Geist brannte. Sie spürte, wie ihre Augen hervortraten und ihre Lunge schmerzte, sie kreischte, um sich Erleichterung zu verschaffen, doch Bestie war frei.
»Lass meinen Schwanz los …«, hörte Alissa Bestie flüstern, die ihre wilden, wütenden Gedanken tief in Keribdis’ Geist stieß. »Du bist alt. Du bist fertig.« Ein Knurren rollte aus ihrer Kehle. » Und du mogelst.«
Alissas Pein brach erschreckend plötzlich ab. Das Gefühl kam so schnell und irgendwie gewaltsam, dass Alissa nach Luft schnappte und beinahe in Ohnmacht fiel. Bestie überschlug sich in der Luft und griff von hinten an. Weit spreizte sie die Klauen. Keribdis verharrte mitten in der Luft, offensichtlich schockiert, weil sie die wilde Bestie in Alissas Gedanken erkannt hatte.
Bestie prallte gegen Keribdis und schlug mit den Hinterklauen nach ihr. Bestie kämpfte und zielte auf Keribdis’ Augen. Der Schmerz brachte Keribdis wieder zu sich. Sie kreischte, als Bestie ihr Gesicht traf, und biss zu. Feuer explodierte in Alissas Schwinge. Sie nahm den Schmerz auf sich, so dass Bestie frei agieren konnte.
Goldene Schwingen schlugen gegeneinander, und sie stürzten hinab. »Ich mag dich nicht«, zischte Bestie. Und dann schlugen sie auf Sand auf.
Der Aufprall schleuderte sie auseinander. Bestie rang nach Luft und richtete sich hastig auf. Alissa geriet in Panik, als sie keine Luft bekam. Zusammengekauert kämpfte Alissa darum, Luft in die Lunge zu bekommen. Ihre Schwingen lagen halb unter dem Sand.
Keribdis erhob sich auf die Hinterbeine und hielt die Schwingen unbeholfen ausgebreitet. Blut rann aus ihrem Bein und aus einer Schnittwunde unter dem Auge und verfärbte den Sand. »Es ist mir gleich, ob du mich magst oder nicht«, sagte sie. Zähnefletschend holte sie mit dem Schwanz aus, ließ ihn mit aller Kraft durch die Luft peitschen und zielte auf Alissas Hinterkopf.
Alissa fiel lautlos in den Sand.
– 29 –
N och eine«, sagte Strell knapp. Ungeduldig streckte er die Hand nach Connen-Neutes magisch erschaffener Schärpe aus. Sein Blick war in den Himmel gerichtet. Alissa spielte mit Keribdis. Oder viel mehr Bestie, dachte er und fühlte sich am Boden völlig hilflos.
Ein langes, schimmerndes Seidentuch erschien in seiner Handfläche, und er riss den Blick von Alissa los, nur einen Herzschlag lang, bis er es an das Ende ihres provisorischen Seils geknotet hatte.
»Jetzt ist es lang genug«, sagte Connen-Neute. »Steig ins Boot.«
Strell stürzte sich in die Brandung. Mit zitternden Fingern knotete er ein Ende des Schärpenseils an den Ring am Bug. Er hockte sich geduckt in das Ruderboot und suchte mit gerunzelter Stirn den Himmel ab. Ihm stockte der Atem, als Keribdis Alissa angriff, sie aber verfehlte.
»Wo fliegen sie hin?«, schrie er, aber Connen-Neute hatte sich bereits verwandelt und konnte nicht mehr antworten. Der junge Raku packte das andere Ende des langen Schals mit einer Hinterklaue und erhob sich in die Luft. Strell hielt sich am Dollbord fest, als sich das Seil straffte und der erwartete, heftige Ruck kam. Sein Kopf wurde zurückgerissen. Strells Augen weiteten sich, als Wasser über den Bug schwappte. »Langsamer!«, schrie er, hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis, ihr zu folgen, und der Angst zu ertrinken.
Connen-Neute bremste sich. Während sie über die Wellen auf die Hauptinsel zurasten, beobachtete Strell die beiden goldenen Gestalten bei ihrer wilden Jagd. Eine ließ sich auf die andere fallen und zwang die untere damit zu einem Sturzflug. »Alissa!«, schrie er und richtete sich vorsichtig auf. Jeder seiner Muskeln war angespannt, während er zusehen musste, wie sie aufs Wasser zurasten. »Nein!«, brüllte er und keuchte, als Schwingen blitzartig ausgebreitet wurden.
Strell sah zu, wie die beiden Rakus über das Wasser rasten, und war froh, dass Connen-Neute gekommen war, um ihn zu holen. Er fühlte sich entsetzlich schuldig. Er konnte nichts tun, um ihr zu helfen. Dies war seine Schuld. Er hätte ihr sagen sollen, dass sie ihren Stolz herunterschlucken und Keribdis’ Unterricht hinnehmen musste. Er hätte ihr sagen sollen, dass Keribdis eine Närrin war und sich mit gespieltem Respekt zufriedengeben würde. Er hätte Alissa nicht um ihre Hand bitten dürfen. »Nein«, flüsterte er. Deshalb wollte er sich nicht schuldig fühlen. »Ich hätte ihren dämlichen Vogel irgendwo festbinden müssen«, sagte er und hörte, wie erstickt seine Stimme klang.
Eine Welle schwappte über die Seite des
Weitere Kostenlose Bücher