Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
anderen sofort zum Schweigen gebracht wurde.
Mit Yar-Taws Hilfe trat Keribdis humpelnd einen Schritt vor. Strell fragte sich, wie viel von dem Schmerz, der sich auf ihrem Gesicht spiegelte, echt sein mochte und wie viel davon auf Wirkung bedacht war. »Glaubt ihr denn wirklich, mein Mann könnte eine erste Verwandlung richtig in die Wege leiten? Allein? Mit einer wilden, völlig ungeschulten Transformantin?«, fragte Keribdis, und Strell kochte.
Keribdis wies auf Alissa. »Ihre gedankliche Signatur hat sich verändert. Gestern Abend habe ich das Echo eines zweiten Bewusstseins bei ihr bemerkt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ganz verwildern würde. Es tut mir leid«, sagte sie und schlug die Augen nieder. Strell wusste, dass ihre Trauer falsch war. »Ich glaube, es war mein Zorn, der sie schließlich hat kippen lassen.«
Neugwin eilte herbei, und tröstliche Worte sprudelten nur so aus ihr hervor. Die besänftigende Stimme der Meisterin vermittelte Strell ein Gefühl der Unwirklichkeit. Das durfte alles nicht wahr sein! Strell konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, nicht einfach über den Sand zu gehen und Keribdis zu schlagen. Als spürte sie seinen Hass, sah sie ihm direkt in die Augen. Ihre Mundwinkel hoben sich, und sie legte eine Hand vor den Mund, um ihr Lächeln zu verbergen.
Connen-Neute nahm Strell beim Ellbogen, als er sich unwillkürlich vorbeugte. Strell löste mit zitternden Fingern Connen-Neutes Hand von seinem Arm. Lodesh stand schweigend neben Silla. Sein Blick schoss in alle Richtungen. Versucht wohl, die politische Lage einzuschätzen, dachte Strell verbittert.
Keribdis hustete und krümmte sich dabei. Sie winkte ab, als Neugwin sich erneut besorgt zeigte, und richtete sich auf. »Sie wird hier angekettet. Ohne den Zwinger gibt es keine andere Möglichkeit, sie am Boden zu halten. Wenn sie sich erholt hat, werden wir sie zwingen, ihr wildes Bewusstsein zu zerstören. Sie ist noch nicht unter den Sternen geflogen. Vielleicht können wir sie noch retten.«
»Nein!«, rief Strell, doch im plötzlichen, aufgeregten Stimmengewirr hörte ihn niemand. Silla umklammerte Lodeshs Arm. Sie sah völlig verängstigt aus.
Keribdis’ Blick schweifte in die Ferne. »Diesmal wird es richtig gemacht«, hauchte sie, als freue sie sich schon darauf. »Ich werde meine Schülerin bekommen. Sie wird mich respektieren. Bei den Wölfen des Navigators, ich lasse nicht zu, dass Talo-Toecan diesen Kampf gewinnt.«
Strell fuhr zusammen, als er begriff. Mit offenem Mund sah er Connen-Neute an. Das längliche Gesicht des jungen Meisters war grau. Offenbar hatte er sie auch gehört. Keribdis war es gleich, ob Alissa lebte oder starb. Keribdis ging es nur darum zu beweisen, dass sie besser war als Talo-Toecan. Der Feste zu zeigen, dass sie es war, der sie folgen sollten, nicht ihr Mann.
Connen-Neute beugte sich zu Strell hinab. »Ich werde Yar-Taw den Pakt erklären, den Alissa mit Bestie geschlossen hat.« Seine Stimme war leise und ruhig, doch seine Hände zitterten.
»Nein«, erwiderte Strell drängend. »Sagt es allen, jetzt gleich. Alissa wird sich selbst töten, ehe sie sich dazu zwingen lässt, Bestie zu zerstören. Das wisst Ihr doch! Ich hätte sie beinahe selbst getötet, als ich dasselbe versucht habe.«
Connen-Neutes Griff an seiner Schulter verstärkte sich. »Ich lasse nicht zu, dass sie sie an einen Pfosten ketten. Lass mich die Dinge so anpacken, dass wir das beste Ergebnis erzielen. Wenn Alissa erwacht und bei klarem Verstand ist – und wir wissen ja, dass es so sein wird –, dann hat sie das Recht auf eine Verhandlung, bevor man sie zwingen kann, Bestie zu zerstören. Diese Zeit kann ich ihr verschaffen, aber wenn du sie in einem Atemzug mit der ganzen Wahrheit empörst, werden sie nicht lange genug abwarten, um dem Recht Genüge zu tun.«
Strell schnürte es den Magen zu. Er beobachtete, wie die versammelten Rakus sich zerstreuten und allein oder zu zweit den Strand verließen. Schließlich nickte er. »Also schön. Wir machen es auf Eure Weise. Einer von uns sollte Lodesh warnen, damit er nichts davon sagt.«
Connen-Neute warf dem Bewahrer einen Blick zu. Er hatte Silla am Ellbogen genommen und versuchte, sie von dem blutbefleckten Stückchen Sand fortzuziehen. Die junge Frau war blass und zitterte und umklammerte seinen Arm so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. »Lodesh wird nichts sagen«, erklärte Connen-Neute. »Er denkt mit dem Kopf. Du hingegen denkst mit dem
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