Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Meine Gedanken vor Verbrennungen schützen, die ohnehin nichts mehr ändern würden?«
Sie war verbittert und riss den Kopf zur Seite, als Nutzlos die Hand ausstreckte, um sacht ihr Kinn zu sich herumzudrehen. »Du bist immer noch eine Meisterin«, sagte er, und ein Hauch von Eisen lag in seinen Worten. »Deine Stimme wird im Konklave gehört werden, ob du Banne wirken kannst oder nicht. Und du wirst wieder eine Quelle haben. Das verspreche ich dir.« Sie gab einen kläglichen Laut von sich, und er beugte sich vor. »Scher dich nicht um ihre Blicke und ihr Geflüster«, sagte er. »Du bist kein Krüppel. Wir werden dir eine neue besorgen. Die Blicke werden aufhören. Und du wirst weiter lernen.«
»Das ist es nicht«, hauchte sie, denn sie besaß kaum mehr genug Willenskraft, um zu sprechen. »Angestarrt wurde ich früher auch.« Nutzlos irrte sich. Sie würde nie wieder fliegen. Bestie würde verkümmern und sterben. Besties Bewusstsein begann jetzt schon zu schwinden, weil jegliches Versprechen aufs Fliegen zu Asche verbrannt war.
Er schwieg lange, dann fragte er: »Bist du bereit, ins Dorf zurückzukehren?«
Alissa schloss unwillkürlich die Augen. Das Flüstern der Brise in den Palmen ähnelte so sehr dem Geräusch, das der Wind in ihren Ohren machte, wenn sie flog. Das Schweigen wurde erwartungsvoll, ihr fiel wieder ein, dass er ihr eine Frage gestellt hatte, und sie nickte, obwohl sie die Absicht hatte, genau da zu bleiben, wo sie war.
Nutzlos lächelte gezwungen. »Strell wartet hinter den Dünen auf dich.«
»Strell?« Ein Fünkchen Gefühl flackerte auf und erstarb zu nichts. Sie sollte Nutzlos sagen, was sie getan hatten, doch sie brachte es nicht über sich. Was spielte es auch für eine Rolle?
»Geh zu ihm«, drängte Nutzlos. »Dazu brauchst du – nur deine eigene Kraft. Und du wirst wieder fliegen.«
Alissa rang sich ein Lächeln ab. Er versuchte, es ihr schönzureden. Er verstand gar nichts. Sie wollte, dass er ging, also neigte sie den Kopf und ließ ihren Blick verschwimmen. Dann nickte sie, als hätte sie Strell im Geiste gesucht und gefunden.
»Siehst du«, sagte Nutzlos übertrieben fröhlich. »Er wird dich zurück ins Dorf begleiten. Vermutlich hat er auch noch mehr zu essen für dich. Geh nur. Ich komme vor Sonnenaufgang nach. Ich habe – etwas zu erledigen.«
Alissas Blick fiel auf Kralle. Die Federn ihres Vogels fühlten sich unter ihren Fingerspitzen so weich an. Keribdis. In dem Namen lag keine Angst mehr. Nichts lag darin. Kein Hass, keine Wut, gar nichts. »Es spielt keine Rolle«, flüsterte sie. »Es ist geschehen. Lasst sie ziehen. Ich bringe nicht genug Empörung auf, um Rache zu üben.«
»Ich schon«, erwiderte er knapp, stand auf und klopfte sich den Sand von der gelben Hose. Sie hörte die Entschlossenheit in seiner Stimme und befand, dass es einfacher sein würde, sich seinem Willen zu beugen. »Geh nur«, fügte er hinzu. »Strell wartet auf dich. Geh zu ihm, ehe er endgültig zusammenbricht, weil er nicht entscheiden kann, ob er etwas falsch macht, indem er versucht, dich zum Essen zu bewegen.«
Alissa zwang sich zum Aufstehen und ignorierte dabei Nutzlos’ ausgestreckte Hand. Sie hatte nicht die Absicht, Strell zu suchen. Offenbar befriedigt, verließ Nutzlos das Feuer. Die Falten in seinem Gesicht waren tiefer, als sie sie in Erinnerung hatte. Er nickte ihr zu und verwandelte sich. Alissa erstarrte kläglich, als die Resonanz eines Bannes, den sie nicht mehr wirken konnte, auf ihren Pfaden aufleuchtete. Sie sank zu Boden. Ihr Kopf sank herab, bis ihr Kinn beinahe ihre Brust berührte.
Ein weiteres Zupfen an ihrem Geist, und Nutzlos verwandelte sich erneut. Wortlos kehrte er ans Feuer zurück. »Du wirst nicht gehen, nicht wahr?«, sagte er tonlos, die weißen Augenbrauen gerunzelt.
»Nein.« Alissa blickte nicht zu ihm auf. »Ich will …« Sie schluckte, den Blick auf ihren kleinen Falken gerichtet. »Ich will mich um Kralle kümmern.« Alles verschwamm ihr vor den Augen. Ihre Freundin war tot.
Nutzlos seufzte. »Meine Besorgung kann warten«, sagte er und ließ sich neben ihr niedersinken.
Sie hatte einen dicken Kloß in der Kehle. Dankbar für seine Nähe, strich sie mit dem Finger über Kralles ergrautes Gefieder, während Nutzlos Holz nachlegte, bis das Feuer heiß und hoch aufloderte. Alissa schloss die Augen gegen die plötzliche Hitze. Sie würde Kralle vermissen. Sogar deren Angewohnheit, ihre Beute mit ihr zu teilen, Schlangen eingeschlossen. Ein
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