Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
und warf ihn nach rechts. »Ein Stein nach Nord hält die Geister fort«, sagte er, und seine tiefe, melodiöse Stimme klang weich und ein wenig sentimental.
Sie trat einen Schritt näher und ließ ein Steinchen fallen. »Ein Kiesel nach Süd, und der Raku flieht.«
Die restliche Erde rann ihm durch die Finger. Strell nahm sie bei den Ellbogen und zog sie zu sich heran. Der durchdringende Geruch von Schlamm stieg ihr in die Nase. Ihr Herz pochte und ließ ihre Zehenspitzen kribbeln. »Sand nach Westen schützt am besten«, flüsterte er.
Seine Hände waren warm, und ihr Herz begann zu rasen bei der Vorstellung, was jetzt geschehen könnte. Auch ihr fiel der restliche Dreck aus der Hand. Die steifen Stoppeln auf seinem Gesicht ließen ihn ungewohnt wüst aussehen. »Was ist das?«, fragte sie und fuhr lächelnd mit dem Fingernagel über seine kratzige Wange.
»Ein Hobby.« Sein Blick war so weich wie seine Stimme.
»Es gefällt mir nicht«, neckte sie ihn spröde, rührte sich jedoch nicht aus seiner leichten Umarmung.
»Es wird dir gefallen.«
Ihr Herz pochte laut. Begehren und Vernunft rangen miteinander. Sie durfte nicht. Wenn sie etwas an der Distanz veränderte, die sie zu beiden Männern gewahrt hatte, würde die Rivalität zwischen Strell und Lodesh hässlich werden. »Ich will nicht, dass sich etwas verändert«, flüsterte sie und forschte in seinen braunen Augen nach einem Anzeichen von Ärger.
»Nichts wird sich ändern, wenn nur du und ich davon wissen«, erwiderte er. Er wartete nur darauf, sie näher an sich zu ziehen – wartete ab.
Sie schloss die Augen und versuchte, die Kraft aufzubringen, die nötig war, um die Hände von seinem Nacken sinken zu lassen. Er fasste ihr Zögern als Zustimmung auf und zog sie an sich. »Strell …«, protestierte sie, obgleich sie nichts lieber getan hätte, als dem sanften Druck nachzugeben. Doch sie schaute nach unten und lehnte die Stirn an seine Brust, um ihre Frustration zu verbergen und ihrer Zurückweisung den Stachel zu nehmen. »Ich kann nicht.«
Ein »Hrmpf« erschreckte sie und ließ sie hastig zurückweichen. Strell ließ schuldbewusst die Hände sinken, und sie fuhr herum. Connen-Neute stand am Rand des plattgedrückten Ovals im Gras, und seine weißen Zähne schimmerten im Schein von Alissas Lichtkugel. Sie errötete, entsetzlich verlegen. »Strell«, sagte der junge Meister, »du solltest eigentlich die Anstandsdame für Alissa und mich spielen, nicht umgekehrt.«
Alissa errötete noch tiefer, als Lodesh sich an Connen-Neute vorbeidrängte. Der Bewahrer ließ seine spärliche Ladung Holz klappernd zu Boden fallen. »Es heißt nicht Sand nach Westen«, erklärte er säuerlich und klopfte sich Rinde von den makellosen Gewändern. »Es heißt Sand von Westen.«
»Seit wann bist du eigentlich fahrender Sänger?«, entgegnete Strell, und leise Frustration schwang in seiner Stimme mit.
»Ich war dabei, als Redal-Stan das geschrieben hat.« Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte Lodesh, mit den Füßen das Gras beiseitezuschieben, um Platz für ein Feuer zu schaffen. »Bein und Asche, weißt du eigentlich, wie weit Geräusche hier draußen tragen? Ein wenig mehr Zurückhaltung, Wüstenmann.«
Mit brennendem Gesicht beschäftigte sich Alissa emsig mit der Plane. Strells Bewegungen wirkten barsch und abrupt, als er sich wieder auf den Boden hockte und versuchte, seine Hosensäume zu säubern. Der Gestank von frischem Schlamm, der von Alissas Schultern aufstieg, war unverkennbar und ihr schrecklich peinlich. Connen-Neute verwandelte sich, trat als muskulöser Raku von der Größe eines kleinen Hauses vor, stupste Lodesh beiseite und schuf mit einem einzigen Schwung der klauenbewehrten Hand eine Fläche kahler Erde für das Feuer.
»Danke«, sagte Lodesh, offenbar ebenfalls peinlich berührt, und bückte sich, um in den Bündeln herumzuwühlen. Mit einem leichten Zupfen an ihrem Bewusstsein erschienen aus dem Nichts vier große, graue Rissen aus demselben Stoff wie Connen-Neutes Weste. Offensichtlich verärgert, ließ Lodesh sich auf einem davon nieder, zog sein Bündel näher zu sich heran und kramte seine Feuersteine und das angekohlte Werg hervor.
Die Glöckchen in Alissas Tasche klingelten leise, als sie nach einem Insekt in ihrem Nacken schlug. Sie erschrak, als sie spürte, wie sich ein großes Feld um sie ausbreitete. Mit großen Augen wandte sie sich Connen-Neute zu. »Das wird die Insekten abhalten«, erklärte der Raku und machte es sich
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