Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Blick beobachtete. Sie schniefte kurz und erschuf ein Licht, um Nutzlos’ Leuchtkugel zu ersetzen. Der sumpfige Geruch von Schlamm lenkte ihre Aufmerksamkeit erneut auf Strell. Er war bis zu den Knien durchweicht, und sie zog die Augenbrauen hoch.
»Das Ufer war weicher, als ich erwartet hatte«, sagte er und legte den Wasserschlauch ab. Er schüttelte sich Matsch und Schleim von den Händen, griff vorsichtig in die Innentasche seines Mantels und holte seine Flöte hervor, die in Leder gewickelt war. Sorgfältig legte er das Instrument auf sein Bündel. »Zumindest ist die nicht nass geworden«, sagte er eher zu sich selbst als zu ihr. Er ließ sich zu Boden sinken, riss ein Büschel Gras aus und versuchte, sich vom Schlamm zu säubern.
Ein beinahe höhnisches Lächeln breitete sich über Alissas Gesicht, und sie legte ihre Lichtkugel auf den Boden. Dabei fiel ihr das Haar ins Gesicht, und sie strich es ungeduldig zurück. Ihr Blick streifte das zusammengerollte Leder, und ihre Augen weiteten sich, als sie das Stück erkannte. Das war die alte Karte ihres Papas, die den Weg zur Feste zeigte. Er benutzte sie, um seine Flöte darin einzuwickeln? Überrascht öffnete sie den Mund und warf einen Blick auf Strell, der sich Matsch von den Händen wischte und gleichzeitig versuchte, ihn von seinen abgetragenen Stiefeln zu kratzen. Er hatte die Karte vor Jahren durch einen Handel bekommen – er hatte sie bei Alissas Mutter gegen ein Stück feinen Stoffes von der Küste eingetauscht, und Alissa versuchte seither, die Karte zurückzubekommen.
Ihr neidischer Blick blieb an dem kupferfarbenen Haarband hängen, mit dem das Leder um die Flöte aus Euthymienholz gebunden war. Auch dieses hatte ihrer Mutter gehört. Und auch dieses wollte Strell nicht zurücktauschen. Sie blieb stumm vor ihm stehen und wölbte hoffnungsvoll die Augenbrauen. Er sah, worauf ihr Blick gerichtet war, und schüttelte den Kopf. Verärgert schaute Alissa zu ihrem Bündel und dem Band, mit dem ihre Mutter vor über drei Jahren ihren Becher daran befestigt hatte. Das einstmals leuchtend kupferfarbene Band war schmuddelig und fleckig. Es war zu unansehnlich, um es zu tragen, aber sie brauchte etwas, um sich das Haar aus dem Gesicht zu binden. »Strell?«, fragte sie. »Tauschst du jetzt endlich das Band ein?«
Strell rieb sich mit dem Handrücken über seinen hässlichen, scheckigen Bart. »Nein«, sagte er genüsslich.
Frustriert rückte sie näher und rümpfte die Nase, als der faulige Gestank des Schlamms zu ihr aufstieg. »Bitte?«
Strells Blick wurde schelmisch, so dass er noch mehr wie ein Vagabund aussah als sonst. Seine neueste Begeisterung für Haare im Gesicht ließ ihn nicht eben vertrauenswürdiger wirken. »Was für ein Schuft gibt denn einfach das Pfand aus der Hand, das eine Frau ihm als Zeichen ihrer Zuneigung geschenkt hat? Außerdem könntest du dich verwandeln, während du es trägst, und dann wäre es für immer verloren.«
Alissa holte Luft, um zu widersprechen, stieß sie jedoch hörbar wieder aus, weil er vermutlich recht hatte. Grummelnd zerrte sie die Plane unter ihren Bündeln hervor und ließ ihren Ärger an dem geölten Segeltuch aus. Die ganze Situation erinnerte sie an damals, als sie Strell begegnet war. Asche, er war ihr mehr auf die Nerven gegangen als eine Wespe, die an der Decke herumsummt. Seither hatte sich nichts verändert.
Sie warf einen Blick auf ihn, während er noch immer an dem Schlamm herumwischte. Seine scharfen Züge verschwammen im Schatten des alten Hutes, den sie ihm geschenkt hatte, nachdem Kralle seinen eigenen Hut zerfetzt hatte. Allmählich ließ ihr Ärger nach, und sie lächelte unwillkürlich. Dann fiel ihr etwas ein, und sie stieß mit der Stiefelspitze gegen den Boden, bis sie unter dem dichten Gras eine Handvoll Erde gelockert hatte. Grinsend reichte sie die Hälfte davon Strell.
»Was ist?«, fragte er, spähte zu ihr auf und wischte sich die Hand ab, bevor er sie ihr hinhielt.
Sie lächelte. »Ein Brocken nach Ost, vor Wölfen sei getrost«, sagte sie in gespieltem Ernst und warf ein Klümpchen Erde in die entsprechende Richtung. Das war ein Zauber von der Küste, den er früher stets benutzt hatte, um ihr Lager für die Nacht zu schützen – obgleich er darauf beharrte, dass er ja nicht daran glaubte.
Strells Mundwinkel hoben sich. Seine Augen glitzerten im Schein ihres Lichtbanns, als er aufstand. Den Blick fest auf sie gerichtet, wählte er einen Stein aus seiner gewölbten Hand
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