Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
letzten Silbe wurde.
Lodesh zog sich den Lederhut tiefer ins Gesicht und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich glaube, ich habe beim Anflug einen umgestürzten Baum dort drüben gesehen«, sagte er und zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Helft Ihr mir, Feuerholz zu holen?«, bat er Connen-Neute.
»Ich dachte, du hättest beim Fliegen die Augen geschlossen«, sagte Connen-Neute, und Lodesh runzelte die Stirn. »Ach so! Der Baum!«, rief der junge Meister aus.
Lodesh seufzte entnervt und nickte Nutzlos respektvoll zu, ehe er im hohen Gras verschwand. Connen-Neute folgte ihm und hielt kurz inne, um sich von Nutzlos zu verabschieden. Ein leises Summen ihrer privaten Unterhaltung trieb am Rande von Alissas Bewusstsein vorbei, und sie machte sich Sorgen, als Connen-Neute sie verschmitzt anlächelte, ehe auch er vom Gras verschluckt wurde.
Strell wollte ihnen schon folgen, nuschelte dann etwas über Wasser und zerrte einen leeren Schlauch vom Haufen ihres Gepäcks. Er schlug nach den Insekten, die immer wieder zurückkehrten, und wandte sich in die entgegengesetzte Richtung, zum Fluss. Alissa drehte sich um und sah, dass Nutzlos gerade zwischen ihren Bündeln wühlte. »Hier. Die sind für dich«, sagte er und reichte ihr einen kleinen Beutel.
Alissa zog unwillkürlich die Brauen hoch, als sie in das kleine Säckchen spähte, nicht größer als ihre Handfläche. Sie drehte es um, und drei silberne Glocken fielen klingelnd in ihre Hand. Ein freudiges Lächeln breitete sich über ihr Gesicht. »Ich danke Euch, Nutzlos«, sagte sie und stupste eine davon mit dem Finger an. »Sie sind sehr hübsch.«
Nutzlos’ weiße Augenbrauen wirkten im matten Lichtschein grau. »Du solltest sie tragen. Am Fußknöchel.«
Hitze stieg ihr in die Wangen bei der Vorstellung, Aufmerksamkeit auf ihre Füße zu lenken. »Am Fußknöchel?«, fragte sie.
»Das ist eine harmlose Tradition. Jeder trägt sie hier an der Küste. Die Frauen, meine ich. Binde sie an eine Schnur oder so etwas.« Er fuhr sich mit der Hand über das kurze Haar und verzog das Gesicht. »Hm-m-m, wenn dann alles geklärt ist, gehe ich.«
Alissa steckte sich die Glöckchen in die Tasche. »Nutzlos …«
»Sag allen Lebewohl von mir. Ich erwarte, jeden Abend bei Sonnenuntergang von dir zu hören, bis du so weit fort bist, dass wir einander nicht mehr erreichen können. Wenn wir Glück haben, verlieren wir den Kontakt gar nicht.«
»Nutzlos, ich –«
»Sorge dafür, dass Connen-Neute viel laut spricht«, sagte er, und sein Blick suchte bereits die schmalen Aufwinde. »Er darf nicht wieder in seine Gewohnheit verfallen, nur durch Gedanken zu sprechen. Ich erwarte, dass er vollständig verbalisiert, wenn ihr zurückkehrt. Keiner von euch verwandelt sich mehr in einen Raku, wenn ihr erst auf Menschen gestoßen seid. Und ihr solltet gut darauf achten, nichts zu tun, was Rakus mit Meistern in Zusammenhang bringen würde. Wer weiß, was sie mit euch machen, wenn sie dahinterkommen.«
Sie hatten schon beim Abendessen darüber gesprochen, und sie nahm seine langgliedrige Hand, damit er endlich aufhörte. Er seufzte schwer und schlug die Augen nieder. »Du bist die erste Meisterin, die ich unterwiesen habe«, sagte er, entzog ihr seine Hand und legte sie ihr auf die Schulter. »Lass dir von Keribdis nicht das Gefühl eingeben, du seist deswegen mangelhaft. Du bist eine hervorragende Schülerin.«
Alissas Magen verkrampfte sich beim Gedanken an diese Frau, und er trat zurück. In einem Wirbel grauen Nebels verwandelte er sich. Nun ragte er als Raku über ihr auf, und seine ledrige Haut schimmerte im trüben Schein seines Lichtbanns beinahe bernsteinfarben. »Aber es wäre wohl besser, wenn du niemanden merken lässt, dass ich dir bereits einige der komplexeren Banne beigebracht habe«, fügte er lautlos hinzu und schwang sich dann in die Luft.
Sie hielt sich die Hände vors Gesicht, als das Gras wogend raschelte. Ihr Lagerplatz wurde schwarz, sobald er sich eine Rakulänge hoch in die Luft erhoben hatte und seine Lichtkugel verschwand. Sie schlang die Arme fest um sich und sah zu, wie er an Höhe gewann und seine Schwingen kraftvoll durch die stille Luft schlugen. Er war nicht mehr als ein Schatten vor dem dunklen Himmel, der sich nun in Richtung Feste wandte. Erst jetzt flüsterte er: »Auf Wiedersehen, Alissa« in ihren Geist.
Es schnürte ihr die Kehle zu, sie drehte sich um und entdeckte Strell, der sie vom Rand des Lagerplatzes aus mit wissendem
Weitere Kostenlose Bücher