Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Connen-Neute hätte Einkäufe gemacht. Alissa fand aber, dass er eher so aussah, als hätte er den ganzen Nachmittag auf den Feldern gearbeitet. »Du siehst erschöpft aus«, bemerkte sie und dachte bei sich, dass »ausgezehrt« der Sache näher kam.
Connen-Neutes Schultern hoben sich, als er seufzte. »Ich habe heute einen Shaduf gefunden«, sagte er, und sie spürte die schmerzliche Erinnerung, die an seinen Gedanken hing.
Alissa öffnete überrascht den Mund, doch ehe sie etwas sagen konnte, drangen die Gedanken des jungen Meisters rasch und schuldbewusst in ihren Geist. »Ich habe ihn aus Erbarmen verbrannt. Seine Pfade zu Schlacke verkohlt, die keine Resonanz mehr hervorbringen wird. Ich musste es tun, Alissa. Der Junge stand kurz davor, sich umzubringen, weil er nicht wusste, warum er Visionen vom Tod anderer Menschen hatte, die sich immer erfüllten.«
Ihr wurde eiskalt, und auch sie fühlte sich schuldig. Shadufs waren ein unglückseliger Unfall, zu dem es kam, wenn sich die Menschen von der Küste, aus dem Hochland und Tiefland zu stark vermischten. Ihre Pfade waren beinahe komplex genug, um den Sprung zum Meister zu schaffen, so wie sie es getan hatte, jedoch tragisch missgestaltet. Dennoch konnten Shadufs etwas tun, was kein Meister vermochte: auf den Zeitlinien vorwärts statt rückwärts springen. Das wäre ein sehr kostbares Talent gewesen, aber nur der Tod war stark genug, sich rückwärts durch die Zeit bemerkbar zu machen. Beinahe war das auch Alissas Schicksal gewesen, dem sie nur knapp entronnen war.
»Du hättest mich wecken sollen«, schalt sie sanft, hob die Hand und legte sie auf Lodeshs, die auf ihrer Schulter ruhte. Es war offensichtlich, dass der Bewahrer ihre Kommunikation bemerkte, aber zu höflich war, sich einzumischen. »Ich hätte dir einen Teil der Schmerzen abnehmen können.«
Connen-Neute schob seinen Becher von sich. »Ich habe es auch allein geschafft. Und wenn Talo-Toecan das herausfindet, bin ich der Einzige, der Ärger bekommt.«
Alissas Blick huschte zu Strell und wieder zurück. »Du hättest mich trotzdem rufen sollen«, wiederholte sie beinahe zornig. Sie ließ die Hand von Lodeshs sinken, denn ihr wurde elend bei der Vorstellung, was Connen-Neute hatte ertragen müssen, um dem Jungen zu helfen. Phantomschmerz hin oder her, es tat so weh, als zerrissen die Wölfe des Navigators einem die Seele, wenn man jemand anderem die Pfade verbrannte, und sei es aus Mitleid. »Geht es dir gut?«
»Morgen wird es besser sein«, dachte er schwach und drehte langsam seinen Becher in Händen. »Zumindest gab es in seiner Familie keine Septhamas. Davon hätte ich Talo-Toecan berichten müssen, und dann würde er der Sache nachgehen. Und dann würde er wissen wollen, wie der Junge diese Verbrennung erlitten hat.« Er schauderte so heftig, dass sie die Bewegung selbst aus dieser Entfernung sehen konnte.
» Woher weißt du das?«, fragte sie. »Ich dachte, die einzige Möglichkeit, Septhamas zu finden, sei der Hinweis, dass plötzlich eine Menge Bewahrer in einer Abstammungslinie auftauchen, in der es nur Gemeine geben sollte.«
Connen-Neute beugte sich vor und strich mit dem Finger zwischen Stiefel und Bein entlang. »Ich habe den Jungen gefragt, ob jemand in seiner Familie Geister sehen könne. Er hat nein gesagt.«
Alissa zog ein säuerliches Gesicht. Manchmal waren die einfachsten Methoden genau diejenigen, die sie übersah.
Septhamas waren eine sehr seltene Art Menschen – beinahe so selten wie sie. Im Gegensatz zu Shadufs waren sie kaum aufzuspüren, bis ihre Kinder allesamt Bewahrer wurden statt der erwarteten Gemeinen. Wie Shadufs, so steckten auch sie zwischen Bewahrer und Meister. Doch ihre missgebildeten Pfade erlaubten ihnen, Geister auszutreiben.
Nutzlos hatte drei qualvoll langweilige Tage damit zugebracht, ihr zu erklären, wie das funktionierte, und dabei mit Begriffen wie psychischer Abdruck und ätherische Frequenz um sich geworfen. Alissa hatte seinem unverständlichen Gewäsch nur entnehmen können, dass eine Tragödie oft einen unsichtbaren Abdruck hinterließ. Wenn ein ähnlicher emotionaler Zustand erreicht wurde, und sei es hunderte von Jahren später, entstand eine Resonanz, und der ursprüngliche Abdruck trat hervor, in Form von Geistern. Septhamas konnten die Frequenz eines solchen Abdrucks verändern, so dass er nicht mehr in Resonanz geriet.
Die Feste hatte Septhamas zum Großteil ignoriert, da man bisher keinen Nutzen in ihnen gesehen hatte. Es war
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