Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
auf die Glöckchen hinab. Anstelle einer Antwort legte er das Band flach auf den Tisch und berührte das Glöckchen, das Strell ihr geschenkt hatte. »Das hier«, sagte er. »Das war Euer erstes?«
Alissa schüttelte den Kopf. »Nein. Diese hier.« Sie zeigte auf die drei Glöckchen von Nutzlos.
Der Mann stieß ein überraschtes Brummen aus. »Drei auf einmal?« Er musterte sie scharf und tippte dann mit dem Finger auf Strells Glöckchen. »Ganz gleich. Wer auch immer Euch dieses gegeben hat, liebt Euch. Wäre ein Jammer, eines zu verkaufen, das in Liebe geschenkt wurde.«
Sie legte sich den Handrücken an die glühende Wange. »Woher wisst Ihr das?«, fragte sie.
Der Mann rollte das Glöckchen auf dem Tisch herum, und es klimperte dumpf. »Es ist nicht sehr alt, etwa dreißig Jahre. Ursprünglich war es wohl das erste Glöckchen einer Kaufmannstochter oder vielleicht der Frau eines Seemanns. Es ist hässlich, und hört Ihr, wie unschön es klingt? Kein besonderes Stück, fast so erbärmlich wie die Glöckchen der Hafenratten, aber es ist ein Glöckchen, und das will immerhin etwas heißen. Aber das eines armen Mannes. Eines Mannes, der kaum Geld für irgendetwas zur Verfügung hat, das er nicht essen, trinken oder tragen kann. Es wurde Euch von jemandem geschenkt, der mehr liebt, als er es sich leisten kann. Dass er es verschenkt hat, bedeutet, dass er Euch mehr liebt als sein eigenes Leben.«
Alissa starrte auf das Glöckchen – sie wäre im Traum nicht darauf gekommen, dass es jemandem so viel verraten könnte.
Der Mann rutschte ein wenig zur Seite und wandte seine Aufmerksamkeit dem Glöckchen zu, das Connen-Neute ihr gegeben hatte. »Nun, dieses hier ist das Geschenk eines jungen Mannes, der durchaus Status hat, aber nicht gewohnt oder vielleicht noch nicht in der Lage ist, ihn zu gebrauchen. Vielleicht der einzige Erbe eines alten Mannes?«
Sie blinzelte überrascht. »Dieses habe ich von Connen-Neute bekommen«, gestand sie.
»Das ist der Verbrannte?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ich dachte eher, es käme von dem, der den Mund nicht halten kann.« Er wies auf Lodesh, der inzwischen mit Strell bei Connen-Neute saß. Sie hatte nicht bemerkt, dass er wieder hereingekommen war. Alle drei blickten finster zu ihr herüber. Offensichtlich gefiel es ihnen nicht, dass sie sich mit einem Fremden unterhielt, doch sie wollten sich noch nicht einmischen.
»Es ist neu«, sagte der Mann, und sie wandte sich ihm wieder zu. »Das merkt man an dem leicht erhabenen Rand und dem Ping, das es macht.« Er hob das Band hoch, tippte das fragliche Glöckchen an, und ein einsamer, heller Ton vermischte sich mit dem Gemurmel um sie herum. »Neu und gut gearbeitet. Wer auch immer Euch das geschenkt hat, betrachtet Euch voller Hochachtung, aber ohne romantische Hintergedanken.«
Alissas Blick rückte in die Ferne. Genau so war es mit Connen-Neute.
»Dieses hier«, sagte der Mann und runzelte die Stirn, während er beinahe ehrfürchtig auf Lodeshs Glöckchen zeigte. »Das kann kein Geschenk sein. Ihr müsst es geerbt haben. Und das sagt mir, dass Ihr aus reichen Verhältnissen stammt, Ma’hr. Niemand könnte dieses alte und seltene Stück auf den Markt bringen, ohne dass es große Aufregung darum gibt. Ich würde den Fang einer ganzen Saison darauf verwetten, dass es das wertvollste an Eurem Band ist, genug, um Euch drei Schiffe samt Besatzung zu kaufen.«
Sie schluckte, denn ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie ein solches Vermögen an ihrem Fuß mit sich herumtrug.
»Ja«, sagte der Mann trocken, denn er hatte ihre plötzliche Beunruhigung offenbar bemerkt. »Ich habe erst einmal ein Stück wie dieses gesehen, und das war angeblich über dreihundert Jahre alt. Ursprünglich war Euer Glöckchen wohl einmal das Geschenk für eine hochstehende junge Frau zur Volljährigkeit.« Sein Schnurrbart bewegte sich, als er die Oberlippe zwischen die Zähne sog. »Also, wer ist gestorben und hat es Euch vermacht?«
»Niemand«, flüsterte sie. »Es war ein Geschenk.«
Er brummte. »Dann habt Ihr es von Eurem großmäuligen Schönling?«
Sie nickte und spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich, als sie zu Lodesh hinübersah. Seine Miene war weicher geworden, und er bot mit erhobenem Zeigefinger Strells drängenden Worten Einhalt. »Ja«, sagte sie.
»Nun, er liebt Euch auch, denn er hätte gewiss unter zahllosen Frauen wählen können, trotz seines derzeitigen Status als – Wanderer? Seine Auswahl des
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