Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Bewahrer rümpfte die Nase. »Ich habe nie behauptet, dass ich etwas von Schiffen verstünde, aber ich sehe drei Dockmänner an Bord, und die würden keinen Fuß auf ein Schiff setzen, dem sie nicht trauen.«
Ein Licht erwachte mittschiffs auf der Albatros zum Leben. Kapitän Sholan stand an der Reling, eine Fackel in der Hand. »Holt sie an Deck!«, rief er und winkte ihnen fröhlich zu. »Anker lichten. Alle Wachen an Deck!«, bellte er. »Ich will diese Segel gesetzt sehen! Wir sind bereit zum Auslaufen!« Auf dem dunklen Deck gerieten die Leute in Bewegung. Schattenhafte Gestalten zerrten an Tauen, und unter dem leisen Rascheln und Klatschen von schwerem Tuch erblühten weiße Dreiecke in der Finsternis, die sich an den beiden Masten emporzogen.
Lodesh beugte sich zu Connen-Neute hinüber. »Heute hat er bessere Laune«, bemerkte er leise. Alissa gab ihm im Stillen recht und fand, dass der Kapitän überhaupt nicht mehr dem müden Mann glich, den sie in der Taverne kennen gelernt hatte.
Das Geräusch von Wasser, das an den Bug der Albatros klatschte, wurde lauter, und Alissa blickte an der hohen Holzwand empor, als sie sacht dagegen stießen. Eine Strickleiter wurde heruntergelassen, und sie stand auf und wartete, bis sie schwankend das Gleichgewicht gefunden hatte. Kralle verließ ihre Schulter, verschwand und zwitscherte aus der Dunkelheit von einem der Masten herunter. Auf Lodeshs Geste hin ergriff sie die Leiter. Der Strick fühlte sich feucht und kalt an. Mit klopfendem Herzen verließ sie das hüpfende Ruderboot und vertraute sich dem langsamen, schwerfälligen Schwanken der Albatros an.
Dunkle Hände streckten sich ihr entgegen und halfen ihr über die Reling. Connen-Neute kam als Nächster, dicht gefolgt von den Bündeln mit ihrer Ausrüstung, die in hohem Bogen über die Reling flogen und als wirrer Haufen auf dem Deck landeten.
Kapitän Sholan stand mit den Händen in den Hüften da und starrte mit zusammengekniffenen Augen zu den Segeln empor, die lärmend im Wind flatterten. Ein magerer Mann mit einer roten Strickmütze stand neben ihm. Er begegnete Alissas Blick und sagte ein paar Worte zum Kapitän. Sogleich drehte Kapitän Sholan sich um und kam strahlend auf sie zu. Er lächelte immer noch, als er vor ihnen stehen blieb, und strahlte eine ansteckend gute Laune aus.
»Ich bin Euch zu Dank verpflichtet, Ma’hr«, sagte er und berührte zur Begrüßung die Krempe seines ausgebleichten Hutes. »Euretwegen habe ich von meiner erbärmlichen so genannten Ehefrau mein Schiff zurückbekommen.«
»Ehemaligen Ehefrau!«, rief der magere Mann laut vom Steuerrad herüber und grinste, und Kapitän Sholan nickte eifrig und lächelte.
»Meinetwegen?«, fragte sie und pflückte ihr Bündel aus dem wachsenden Ausrüstungshaufen. Sie blickte kurz zu den Segeln auf. Die machten einen ungeheuren Lärm, doch außer ihr schien das niemand zu bemerken.
Höflich nahm der Kapitän ihr das Bündel ab. »Sie ist eine böse Frau, Ma’hr. Verbirgt ihre Mängel hinter hübschen Worten und dünner Freundlichkeit, die nicht von Herzen kommen, sondern aus ihrer Gier heraus. Sie hat mir nicht geglaubt, als ich ihr gesagt habe, dass ich das Vermögen, das ich für sie erarbeitet habe, in den Wellen versenken würde, wenn sie nicht aufhört, im Bett eines anderen Mannes anzulegen.« Er biss sich auf die Oberlippe, und sein Schnurrbart tanzte. »Der Stolz eines Mannes kann nun einmal nicht alles ertragen. Aber als ich ihr gesagt habe, dass ich Euch für ein Paar Stiefel auf hohe See hinausfahre, hat sie mir mein Schiff zurückgegeben und unsere Ehe scheiden lassen, noch bevor ich mein Versprechen erfüllen und unsere Truhen leeren konnte, um den Hafenhuren Hüte zu kaufen.«
Alissas Wangen brannten, und sie war froh, dass er es in der Dunkelheit gewiss nicht sehen konnte. Mit einem leisen Brummen führte er sie zu einem etwas tiefer gelegten Bereich des Decks, wo sich das Steuerrad befand. Der magere Mann bediente es, und die Muskeln an seinen Armen traten dabei hervor. Bänke umgaben dieses vertiefte Deck, und dahinter führte eine Luke hinunter in die Schwärze. Mit bimmelnden Glöckchen folgte Alissa dem Kapitän. »Sie hat meinetwegen Eure Ehe gelöst?«, fragte sie und fühlte sich schuldig.
»Ja, und dafür bin ich Euch ungeheuer dankbar, Ma’hr. Ich und meine Besatzung. Nun ja, meine feste Mannschaft«, schränkte er ein. »Nicht die Hafenratten, die ich anheuern musste, um diejenigen von meinen Männern zu
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