Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
seien alle wie Keribdis«, sagte er. Er warf einen Blick an ihr vorbei zu den fernen Seeleuten hinüber und zog sich die Bandagen von Händen und Augen.
Keribdis, dachte Alissa und spürte einen Stich der Angst. Ihre Gedanken wandten sich Bestie zu, hilflos und verletzlich. Alissa versteckte Bestie nun schon seit fast zwei Jahren, und Nutzlos hatte bisher nichts gemerkt. Doch Keribdis war eigens dafür ausgebildet, solche Abnormitäten zu entdecken. »Ist sie denn so schlimm?«, fragte Alissa.
Connen-Neutes langes Gesicht lief rot an. »Sie ist sehr willensstark und weigert sich, irgendeinen Weg zu jedwedem Ziel anzuerkennen, außer ihrem eigenen. Da ist sie wie du.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das kurze, dunkle Haar, um es zu lockern, wo die Schärpe es an seinen Kopf gedrückt hatte. »Doch der wahre Grund, weshalb ich mit dem nächsten Transformanten unterrichtet werden wollte, war, dass Redal-Stan mir gesagt hat, das wäre die beste Möglichkeit, die Machtverhältnisse des Konklaves zu verändern. Ich könnte das Vertrauen und das Gehör eines Meisters gewinnen, der vermutlich großen Einfluss haben würde.« Er zuckte verlegen mit den Schultern. »Mir liegt eben eher die stille, heimliche Methode, nicht die lautstarke Aufgeblasenheit. Keribdis die Stirn zu bieten ist schwer. Ich vergesse immer, was ich sagen wollte.«
»Einfluss auf das Konklave haben?«, wiederholte Alissa und spürte, wie sich erschrockenes Misstrauen in ihr regte.
Connen-Neute faltete die Schärpe zusammen. »Auf manche hören sie eben eher als auf andere. Auf mich überhaupt nicht. Ich bin das Küken der Feste. Und wenn du dich mit jemandem verbindest, der kein Meister ist, werden sie auch dich niemals ernst nehmen. Transformantin hin oder her.«
Sie runzelte die Stirn, denn das gefiel ihr nicht. »Ich werde Strell oder Lodesh heiraten«, erklärte sie. »Es ist mir gleich, was Keribdis oder sonst jemand dazu sagt. Ich kann mich nur nicht für einen von ihnen entscheiden«, fügte sie kläglich hinzu.
»Ich glaube, du hast dich bereits entschieden«, sagte Connen-Neute sanft.
»Was?«, rief sie aus und richtete sich auf.
Er zuckte mit den mageren Schultern und sah viel zu jung aus, als dass er wissen könnte, wovon er sprach. »Lodesh ist offensichtlich die bessere von zwei schlechten Alternativen. Da du das nicht zugeben willst, denke ich, dass dein Herz sich schon für Strell entschieden hat. Du hast nur zu viel Angst, es zuzugeben, weil du weißt, welchen Ärger du damit heraufbeschwören wirst.«
Sie legte den Handrücken an ihre glühende Wange. »Nein, ich habe mich noch nicht entschieden.«
Connen-Neute streckte eine langfingrige Hand aus. »Strell?«, sagte er und zählte die Punkte an den Fingern ab. »Gemeiner. Sehr kurze Lebensspanne. Kann keinen Bann wirken, und wenn sein Leben davon abhinge. Letzter Abkömmling einer Linie, deren Auslöschung die halbe Feste seit Ewigkeiten heimlich zu bewerkstelligen versucht. Die Kinder, die er zeugt, können nur Gemeine –«
»Hör auf«, protestierte sie, denn sie wollte das nicht hören.
»Lodesh?« Er hob die andere Hand und bewegte beide Hände in der Pantomime einer Waage. »Bewahrer. Mit einem Fluch belegt, weshalb er so lange leben wird, bis er ihn bricht. Kinder, die Bewahrer sein werden, womöglich sogar Meister. Ehemals Herrscher über eine Stadt mit tausenden von Menschen. Kennt alles und jeden. War auf denselben Hochzeiten, Festen, Beerdigungen wie die anderen …« Seine zweite Hand war weit herabgesunken, die erste hing hoch in der Luft. »Muss ich fortfahren?«
Sie seufzte. »Nein.«
»Wie ich bereits sagte … Ärger. Und obendrein wird Strell seekrank.«
Sie blickte zum Heck und fragte sich, ob er recht hatte und sie nur zu blind war, um es zu erkennen.
»Ich glaube, dass du Angst hast«, fuhr Connen-Neute fort. »Du weißt, dass Keribdis dir verbieten wird, einen Gemeinen zu heiraten. Sie wird dich zu einer Entscheidung zwingen: Du musst dich ihr widersetzen oder eine Lüge leben.«
»Wie könnte ich mich vor ihr fürchten?«, erwiderte Alissa in aufgesetztem Zorn. »Ich habe sie ja noch nie gesehen. Und ich habe mich nur deshalb noch nicht entschieden, weil ich weiß, dass dann einer von ihnen gehen wird.« Sie schlug die Augen nieder. »Ich will nicht, dass einer von ihnen zum Schluss allein ist.«
Connen-Neute warf ihr einen ironischen Blick zu. »Einer von ihnen? Oder du?«
Alissa sagte nichts. Sie brachte es nicht fertig, ihm in die Augen zu
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