Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Durcheinander verwirrter Stimmen wurde lauter, während langfingrige Männer und Frauen sich um das Grüppchen drängten. Connen-Neute grinste, und sein langes, sonst so ernstes Gesicht strahlte vor Freude. Er griff nach den Händen, die sich ihm entgegenstreckten.
Alissa empfand einen Moment lang nichts als Panik. Dreißig? Vierzig Leute? Sie konnte sie nicht zählen. Alle waren alt. Nicht so alt wie Nutzlos, aber so alt, wie ihre Mutter jetzt vermutlich aussah. Sie trat zurück und schob sich zwischen Strell und Lodesh, um den Leuten aus dem Weg zu gehen.
»Zu viele«, flüsterte Bestie, deren Angst wuchs. »Alissa, das sind zu viele! Bring uns hier weg!«
Kralle schlug mit den Flügeln und stieß laute Rufe aus. Sie weigerte sich, Alissas Handgelenk zu verlassen. Alissa ließ sie so viel Lärm machen, wie sie wollte. Kralles Gezeter verschaffte ihr etwas Raum, den sie und Bestie dringend brauchten. Aber die kleinen Krallen zwickten schmerzhaft, und Alissa erschuf rasch eine schwarze Schärpe, die sie sich ums Handgelenk wickelte. Mit hämmerndem Herzen beobachtete sie, wie immer mehr Meister erschienen. Deshalb war sie schließlich hergekommen, sagte sie sich und bemühte sich zu lächeln, wann immer ein goldenes Augenpaar ihrem Blick begegnete. Die anderen finden, das war es, was sie gewollt hatte. Doch so hatte sie sich das nicht vorgestellt!
»Connen-Neute!«, schrie eine kleine Frau, drängte sich nach vorn durch und zog ihn zu sich herunter, um ihm die Arme um den Hals zu schlingen. »Beim Navigator! Du bist es wirklich!«, rief sie, und in ihren Augen glänzten Tränen. »Du hast uns verlassen.« Sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter, wozu sie sich in die Höhe strecken musste. »Tu das ja nie wieder!«
»Meine Tante«, erklärte Connen-Neute mit einem privaten Gedanken, sah Alissa dabei kurz an und wandte sich dann wieder der Frau zu. Der junge Meister grinste, und seine weißen Zähne hoben sich blitzend von seiner gebräunten Haut ab. »Das habe ich nicht vor«, sagte er laut, und die Menge jubelte.
»Er spricht!«, rief jemand. »Connen-Neute ist nicht nur zurück, er ist sogar noch besser als vorher!«
»Mirim. O Mirim, rette mich«, murmelte Kapitän Sholan und wich zum Rand der Versammlung zurück.
»Aber wie bist du hierhergekommen?«, fragte Connen-Neutes Tante und umarmte ihn erneut.
Connen-Neute warf einen Blick über die Schulter in Richtung der Bucht, die von hier aus nicht zu sehen war. »Mit einem Schiff.«
»Einem Schiff!«, rief die Tante aus. »Hast du das gehört, Keribdis? Sie haben ein Schiff!« Überglücklich ließ die Frau den Blick über den Rest der kleinen Gruppe schweifen. »Und du hast uns Bewahrer mitgebracht«, fügte Connen-Neutes Tante hinzu, mit einem Seufzen, bei dem sich ihr ganzer Körper bewegte. »Es ist so lange her, dass ich jemanden zum Unterrichten hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich das vermissen würde.«
»Nicht nur Bewahrer«, sagte eine laute Stimme. »Wisch dir den Sand aus den Augen, Neugwin. Das ist der Stadtvogt.«
Connen-Neutes Tante spähte zu Lodesh empor, und ihre Miene hellte sich auf. »Lodesh Stryska?«, sagte sie strahlend. »Bei den Wölfen. Ihr solltet doch eigentlich tot sein!«
Alissas Augen weiteten sich, als die Leute von einem rundlichen, aber kultiviert aussehenden Mann beiseitegeschoben wurden. Ein dicker Meister?, dachte sie, als sie die traditionelle Weste sah, die aus unzähligen Ellen Stoff gefertigt war.
»Lodesh, ist Eure Stadt erwacht?«, fragte der Meister, dessen Augen in dem pausbäckigen Gesicht intelligent und scharfsichtig wirkten. »Wer hat Euch erweckt? Talo-Toecan?«
Lodesh grinste. Da er aller Augen auf sich gerichtet sah, vollführte er eine seiner eleganten Zitadellen-Verbeugungen. »Ich bin von den Toten zurückgekehrt, Beso-Ran«, sagte er. »Meine Stadt hat endlich Ruhe gefunden, und mein Volk ist von dem Fluch befreit, aber ich bin geblieben. Ich bin mit der Welt noch nicht fertig.« Er warf Alissa einen viel sagenden Blick zu, und sie schlug die Augen nieder.
»Connen-Neute hat die Stadt erweckt!«, schrie jemand, und Jubel brandete auf.
»Nein.« Lodeshs Blick, noch immer auf Alissa gerichtet, wurde weich. »Alissa hatte mehr damit zu tun.«
»Aha«, sagte Connen-Neutes Tante und baute sich vor Alissa auf. »Du musst Alissa sein. Ich bin Neugwin. Es ist mir eine Freude, dich kennen zu lernen. Wie ist es dir gelungen, den alten Charmeur zu wecken?«
Nahender Donner ließ Alissa erbeben, als
Weitere Kostenlose Bücher