All the lonely people
tüchtig, kompetent, selbstsicher. Niemand im Lehrerkollegium ahnte, dass Carlas ideale Ehe gar nicht so ideal war. Selbst in ihrem Freundeskreis wusste keiner, wie unglücklich sie sich fühlte und wie oft sie heimlich weinte. Carla hatte gelernt, so etwas mit sich selbst auszumachen und nach außen strahlend und zufrieden zu erscheinen. Anderen konnte sie gute Ratschläge geben, doch sie war nicht in der Lage, sich Hilfe zu holen. Trotz vieler Kontakte fühlte sie sich unendlich einsam. Seit einem Dreivierteljahr war sie mit einer Kollegin befreundet, mit der sie auch immer mal wieder zu Fortbildungen fuhr. An diesem bewussten Tag saßen die beiden allein in einem Abteil. Die Kollegin, die selbst recht offen war, erzählte über ihre schwierige Beziehung. Und da sprang Carla über ihren Schatten: |167| Stockend und verlegen erzählte sie von ihrer Partnerschaft. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr dabei die Tränen in die Augen traten. Die Kollegin hörte aufmerksam und liebevoll zu. Carla spürte, wie gut es tat, sich einmal auszusprechen. Von diesem Tag an bröckelte ihre Fassade. Sie wagte es, auch mit anderen Menschen über sich und ihre Gefühle zu reden. Und siehe da, die erwartete Katastrophe blieb aus. Keiner verachtete sie, niemand reagierte hämisch. Heute hat Carla mehrere wirklich gute Freundinnen, denen sie sich so zeigen kann, wie sie wirklich ist. Die mögen an ihr nicht nur die Löwin, sondern gerade auch die Maus. Das Problem mit ihrem Mann hat Carla noch nicht gelöst, wohl aber das ihrer Einsamkeit.
Die Angst, sich zu offenbaren
M ir ist bewusst, dass der Moment der Offenbarung ziemliche Angst auslöst. Schließlich garantiert uns keiner, dass wir auch wirklich so akzeptiert werden, wie wir sind. Trotzdem sollten wir uns nicht unnötig fürchten. Dabei kann uns unser Verstand ein guter Verbündeter sein. Er hilft uns, festzustellen, ob unsere Angst tatsächliche berechtigt ist oder ob uns unsere Fantasie verrückt macht.
Reale Ängste
D ie Befürchtung, dass unsere Offenbarung nicht gut aufgenommen wird, ist zunächst einmal real. Kein Mensch ist perfekt, und so kann es passieren, dass wir uns zurückgestoßen fühlen. Vielleicht haben Sie auch schon mal jemanden verletzt, ohne es zu wollen. Ich erinnere mich noch gut, dass ich einmal aus allen Wolken fiel, als eine Bekannte zitternd und mit Tränen in den Augen auf eine unüberlegte Bemerkung von mir reagierte. Die Bemerkung war zugegeben ein bisschen unhöflich, aber relativ harmlos. Jeder andere hätte sie einfach überhört oder auf den aktuellen Stress geschoben. Zufällig hatte ich aber genau den Satz getroffen, mit dem die Mutter dieser Bekannten sie in ihrer Kindheit gedemütigt hatte. So zeigte die kleine Unachtsamkeit meinerseits eine große Wirkung.
|168| Wenn Sie sich offenbaren, wird man nicht unbedingt ideal reagieren. Sie können auf Unverständnis stoßen. Es kann geschehen, dass die betreffende Person damit nicht sorgsam umgeht. Möglicherweise werden Sie ausgenutzt oder Ihr Bekenntnis wird später als Waffe gegen Sie verwendet.
Das sollte Sie trotzdem nicht von Ihrem Vorsatz abhalten. Je besser Sie sich Ihre Gesprächspartner aussuchen, desto weniger Angst müssen Sie haben. Eine Garantie gibt es allerdings nicht. Sollte es Ihnen tatsächlich passieren, ist das kein Grund, sich von nun an zurückzuhalten. Beziehen Sie die negative Reaktion nicht unbedingt auf sich. Meist hat sie weitaus mehr mit dem anderen zu tun als mit Ihnen. Wahrscheinlich hat er selbst ein Problem damit, offen zu sein, und sein Verhalten drückt aus, wie unsicher er sich fühlt.
Irreale Ängste
A ußer der realen Angst, die sich auf die Unvollkommenheit der menschlichen Natur bezieht, existiert noch die alte Kinderangst, abgelehnt zu werden. Sie verhindert oft unbewusst, dass wir uns so zeigen, wie wir sind. Versuchen wir es dennoch, spüren wir sie sogar körperlich. Unser Mund wird trocken, das Herz klopft, der Kopf ist leer. Plötzlich sind wir stumm oder fühlen uns wie gelähmt. Das ist derart unangenehm, dass wir uns schnellstens wieder in unsere bewährte »Löwe«- Manier flüchten.
So mächtig sie auch daherkommt, diese Angst ist irreal und überholt. Es stimmt einfach nicht, dass uns heute jeder fallen lässt oder demütigt, wenn wir uns ganz zeigen. Im Gegenteil! Erst dadurch werden wir menschlich und bekommen für die anderen ein Gesicht. Vorher sind wir für sie wie eine glatte Puppe.
Carl Rogers hat einmal gesagt: »Wie kann ich
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