Allan - Die Suche nach dem Ich (Band 2) (German Edition)
über ihn richten.«
»Ich weiß ja nicht, wie es dort, wo du herkommst, ist, aber bei uns entscheidet die Gruppe über das Urteil eines Mörders. Und unser Urteil lautete: Tod durch Verhungern und Verdursten.«
Allan war sprachlos. So viel Kaltblütigkeit hätte er diesen Menschen niemals zugemutet. Doch dann musste er sich daran erinnern, wo er sich befand: Er war in einem anderen Land ... oder gar in einer anderen Welt. Hier herrschten andere Gesetze, die er in Tylonia so überhaupt nicht kannte. Er hatte sich mit diesen Prinzipien abzufinden - für wie falsch er sie auch halten mochte.
Gemeinsam durchquerten sie nun das Nebelgebirge - schweigend. Allan hatte an dem soeben Erfahrenen immer noch zu verdauen und Sinalia erging es anscheinend genauso - wegen seiner zurückstoßenden Art, welche nicht seine Absicht gewesen war. Frauen gegenüber wurde er stetig unsicher und wusste nicht, wie er sich in solchen Situationen der Annäherung verhalten sollte. Statt einfach nachzugeben und ihre Berührung zu erwidern, hatte er sie abgewiesen. Er hoffte, dass sie ihm das nicht allzu lange übel nehmen würde.
Ein eiskalter Windhauch schlug ihnen entgegen. Allan hatte ihn die letzten Stunden kaum noch gespürt, doch nun wurde er aufdringlicher und ließ ihm einen Schauer über den Rücken laufen. Sinalia blickte sich ängstlich um. Diese Umgebung schien in ihr genauso ein Unbehagen auszulösen wie in ihm.
»Wonach suchen wir eigentlich?«, wollte sie wissen.
»Nach Igos.«
»Aber wo ist er hin? Malon hatte doch gesagt, dass er hierher gegangen sei.«
»Ich weiß nicht, wo er steckt. Aber ich weiß, dass wir ihn finden werden.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe so ein Gefühl.«
»Du hast so ein Gefühl?«, wiederholte sie spöttisch. Anscheinend nahm sie ihn nicht ernst.
»Ja. Kennst du das nicht? Dass du glaubst, etwas zu finden, weil du es in dir fühlst?«
»Schon. Ich denke jedoch, dass dein Gefühl dich in diesem Fall leicht täuschen kann.«
»Das werden wir ja noch sehen.« Allan war enttäuscht von ihrer Reaktion und blieb ihr gegenüber fürs Erste schweigsam.
Die Dämmerung setzte ein. Der Nebel wurde immer dichter und das Gebirge unheimlicher. Allan hatte das Gefühl, die Augen, welche auf sie gerichtet waren, würden zunehmen. Dann hörte er auf einmal ein seichtes Stöhnen, das scheinbar auch Sinalia wahrnahm, denn sie blieb plötzlich stehen und blickte sich ängstlich um.
»Was war das?«
»Keine Ahnung, aber lass uns weiter. Wenn uns etwas holen will, holt es sich uns auch, wenn wir weitergehen, also brauchen wir hier nicht zu verharren.«
»Wenn es sich uns holen will?« Sinalias Augen weiteten sich und ihre Angst schien größer zu werden. Allan wollte weiter, als sie sich plötzlich krümmte und die Hände gegen ihren Bauch presste.
»Sinalia, was ist los? Was hast du?«
»Ich spüre auf einmal so einen Druck in der Magengegend«, stöhnte sie. Sie wollte sich aufrichten, als dieses unangenehme Gefühl scheinbar nachgelassen hatte, doch krümmte sie sich sofort wieder. Diesmal schien es schlimmer zu sein. Sie fasste mit der Hand an einen Felsen, um sich festzuhalten. Allan begann, sich Sorgen zu machen.
»Hast du was Schlechtes gegessen?«
»Nein, es ist kein Gefühl der Übelkeit. Es fühlt sich eher an wie ... Tritte.«
»Tritte? Bist du schwanger?« Das wäre mehr als unvorteilhaft - für sie beide. Es wäre viel zu gefährlich für sie und ihr Kind, wenn sie ihn weiterhin begleiten würde. Und für Allan wäre dieser Umstand sehr hinderlich.
»Nein, bin ich nicht.«
»Sicher?«
»Ja, Allan. Ich hatte doch noch nie ...« Den Satz brachte sie nicht zu Ende, denn das unangenehme Gefühl schien sich in Schmerzen zu verwandeln.
»Wir sollten weiter, Sinalia«, nötigte er sie zur Eile. »Wir sind hier nicht sicher.«
»Ja, du hast ...« Sie unterbrach sich selbst, schrak auf und blickte entsetzt zu ihrer Hand, die immer noch auf dem Felsen lag. Als Allan ihrem Blick folgte, verstand er ihre Reaktion. Eine Hand hatte sich auf ihre gelegt. Doch das war nicht das Schlimme, sondern das Wesen, zu dem sie gehörte. Es war ein Mensch, ein Toter - ein Geist, in einem schrecklichen Zustand. Zu Lebzeiten war dieser Mann scheinbar Ritter oder dergleichen gewesen, da er immer noch in einer Rüstung steckte. Sie war von Pfeilen durchbohrt. Wahrscheinlich war das sein Todesurteil gewesen. An seinen Händen klebte verkrustetes Blut und Dreck. Aus seinen Wunden bahnte sich Eiter
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