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Allan Quatermain

Allan Quatermain

Titel: Allan Quatermain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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durchzunehmen. Die Dame wiederholte mit sanft vibrierender Stimme das Zu-Vendi-Wort für ›Hand‹, woraufhin er die ihrige zärtlich ergriff; sie sagte das Wort für ›Augen‹, und er schaute tief in ihre rehbraunen Pupillen; dann sagte sie das Wort für ›Lippen‹, und – aber just in dem Moment öffnete sich die Tür und, begleitet von nur zwei Wächtern, spazierte Nylephta herein! Good hörte auf der Stelle mit seiner Seufzerei auf und radebrechte mit lauter Stimme Zu-Vendi. Sir Henry stieß einen Pfiff aus und machte ein dämliches Gesicht. Und die armen Mädchen standen mit hochroten Köpfen da und wußten nicht, was sie sagen sollten.
    Nylephta reckte sich, bis ihr Körper die der hochgewachsenen Gardisten zu überragen schien; ihr Gesicht lief erst rot an, und dann wurde es bleich wie der Tod.
    »Wächter«, sagte sie mit leiser, erstickter Stimme und zeigte auf die gelehrige, aber unfreiwillige Schülerin Sir Henrys, »tötet diese Frau!«
    Die Männer zögerten.
    »Wollt ihr meinen Befehl ausführen«, sagte sie wieder mit derselben, mühsam beherrschten Stimme, »oder nicht?«
    Sie gingen mit erhobenen Speeren auf das Mädchen zu. Mittlerweile hatte Sir Henry sich wieder von dem Schrecken erholt. Er merkte, daß die Komödie dabei war, in eine Tragödie umzuschlagen.
    »Zurück!« rief er mit donnernder Stimme; gleichzeitig stellte er sich schützend vor das zu Tode erschrockene Mädchen. »Schäm dich, Nylephta – schäm dich! Du wirst sie nicht töten!«
    »Zweifellos hast du allen Grund, sie in Schutz zu nehmen. Du könntest kaum etwas weniger Ehrenhaftes tun!« erwiderte die Königin, bebend vor Wut. »Aber sie soll sterben – ich will, daß sie stirbt!« Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf.
    »Wohlan denn!« gab er zur Antwort. »Dann werde ich mit ihr zusammen sterben! Ich bin dein Diener, o Königin; mache mit mir, was du willst!« Und dann beugte er sich zu ihr herunter und schaute ihr mit seinen offenen, klaren Augen voller Verachtung ins Gesicht.
    »Am liebsten würde ich dich auch töten lassen«, antwortete sie; »denn du machst mich zum Gespött.« Und als sie spürte, daß sie besiegt war, und, wie ich vermute, nicht wußte, was sie anderes hätte tun können, brach sie in ein solches Meer von Tränen aus und schaute dabei so königlich reizend aus in ihrem leidenschaftlichen Kummer, daß ich, alt wie ich bin, Curtis um seine Aufgabe, sie zu trösten, zutiefst beneidete. Es war schon recht komisch, zu sehen, wie er sie in den Armen hielt, bedenkt man, was soeben noch vorgefallen war; dies schien auch ihr plötzlich bewußt zu werden, denn sie wand sich aus seinem Arm und ließ uns mit unserer Betroffenheit allein.
    Kurz darauf kam einer der Gardisten zurück und überbrachte den Mädchen eine Botschaft, daß sie auf der Stelle, andernfalls sie mit dem Tode bestraft würden, die Stadt verlassen müßten und sich wieder in ihre Heimat auf dem Lande zu begeben hätten; ansonsten würde ihnen nichts weiter geschehen. Sie machten sich sogleich auf; eine von ihnen bemerkte noch, man könne eben nichts daran ändern, und es sei sehr befriedigend, zu wissen, daß sie uns ein wenig nützliches Zu-Vendi beigebracht hätten. Meine war ein äußerst nettes Mädchen, und ich schenkte ihr zum Abschied meinen Lieblingsglücksbringer, ein Sixpence-Stück mit einem Loch darin. Nach diesem Zwischenfall nahmen wieder unsere vorherigen Lehrer den Unterricht auf, zu meiner großen Erleichterung, wie ich wohl nicht extra zu betonen brauche.
    An jenem Abend begaben wir uns etwas unbehaglich an die königliche Tafel. Nylephta ließ sich entschuldigen; sie liege mit starken Kopfschmerzen zu Bett. Diese Kopfschmerzen hielten drei volle Tage an; am dritten Tag war sie jedoch wieder wie gewöhnlich beim Abendessen zugegen, und mit dem anmutigsten und süßesten Lächeln der Welt bot sie Sir Henry ihre Hand, um sich an die Tafel geleiten zu lassen, und mit keinem Wort erwähnte sie den Zwischenfall. Damit war das Thema endgültig beendet. Nach dem Abendessen geruhte Nylephta, uns einer Prüfung zu unterziehen, um zu sehen, was wir gelernt hatten; sie war mit dem Resultat sehr zufrieden. Sie ließ sich sogar dazu herab, uns – insbesondere Sir Henry – eine Privatstunde zu erteilen, und es war in der Tat eine sehr interessante.
    Und die ganze Zeit über, während wir plauderten, oder vielmehr, uns bemühten, zu plaudern, und lachten, saß Sorais da in ihrem geschnitzten Elfenbeinstuhl, schaute uns zu und las

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