Allan Quatermain
wachsende Neid seitens einiger mächtiger Adeliger, an ihrer Spitze Nasta, für uns dar. Lange Zeit hatte ihre Abneigung uns gegenüber nur mühsam verschleiert im Verborgenen geschwelt, und nun drohte sie, in eine hell auflodernde Flamme offener Feindschaft umzuschlagen. Nasta war schon seit einigen Jahren ein aussichtsreicher Kandidat für die Hand Nylephtas gewesen, und ich glaube, nach allem, was ich gehört und gesehen hatte, daß er zu dem Zeitpunkt, als wir auf der Bildfläche erschienen, ungeachtet der Tatsache, daß es noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen galt, seinem Ziel ein ganzes Stück nähergekommen war. Aber mit einem Male war alles anders geworden: die scheue Nylephta lächelte plötzlich nicht mehr schüchtern in seine Richtung, sobald er irgendwo auftauchte, und er hatte sehr bald die Gründe dafür erraten. Enttäuscht und außer sich vor Zorn hatte er seine Aufmerksamkeit Sorais zugewandt und nur zu bald feststellen müssen, daß er ebensogut einer Wand den Hof hätte machen können. Das einzige, was er von der stolzen Königin Sorais geerntet hatte, waren ein oder zwei bittere Scherze über seinen Wankelmut, und damit war ihm auch diese Tür für immer vor der Nase zugeschlagen worden. Also war ihm nichts anderes übriggeblieben, als sich der dreißigtausend grimmigen Schwertkämpfer zu entsinnen, die auf sein Kommando über die Pässe der nördlichen Gebirgskette einfallen würden, wenn er es wollte; und ich bin sicher, er hatte hoch und heilig geschworen, die Tore von Milosis mit unseren Köpfen zu zieren.
Wie wir jedoch bald erfahren sollten, hatte er zunächst einmal einen anderen Entschluß gefaßt: und zwar hatte er die Absicht, einen erneuten Versuch zu machen und Nylephta um ihre Hand zu bitten. Dies sollte vor Augen des ganzen Hofes geschehen, sobald die alljährlich stattfindende Zeremonie der Unterzeichnung der Gesetze, die im Laufe des Jahres von den Königinnen proklamiert worden waren, vorbei war.
Auf diese verblüffende Neuigkeit reagierte Nylephta mit gespielter Gleichgültigkeit und Gelassenheit. Ihre Stimme zitterte jedoch ein wenig, als sie uns am Vorabend der großen Zeremonie der Gesetzesunterzeichnung die Nachricht brachte, während wir wie gewöhnlich gemeinsam beim Abendessen saßen.
Sir Henry biß sich auf die Lippen; er gab sich kaum die Mühe, seine Erregung, die ob dieser Nachricht von ihm Besitz ergriffen hatte, zu verbergen.
»Und welche Antwort gedenkt Ihre Majestät dem großen Fürsten zu geben?« fragte ich, wobei ich mich um einen möglichst scherzhaft klingenden Ton bemühte.
»Antworte selbst, Macumazahn« (wir waren nämlich übereingekommen, uns in Zu-Vendi mit unseren Zulunamen anreden zu lassen), erwiderte sie und hob anmutig ihre alabasterfarbenen Schultern. »Was bleibt einer armen Frau schon anderes übrig, als zu gehorchen, wenn der Freier über dreißigtausend Schwerter verfügt, mit denen er seinem Werben Nachdruck verleihen kann?« Und durch ihre langen Wimpern hindurch sah sie Curtis an.
Wir waren gerade im Begriff, in einen anderen Raum hinüberzugehen, als Curtis mich am Arm packte und beiseite nahm. »Quatermain, einen Augenblick – ich möchte dir etwas sagen. Ich habe zwar noch nie über das Thema gesprochen, aber ich bin sicher, du hast schon erraten, worum es sich handelt: Ich liebe Nylephta. Was soll ich bloß tun?«
Glücklicherweise hatte ich das Problem schon mehr oder weniger in Betracht gezogen und war deshalb in der Lage, ihm die Antwort zu geben, die mir unter den gegebenen Umständen die klügste zu sein schien.
»Du mußt noch heute nacht mit Nylephta sprechen«, sagte ich ihm. »Jetzt muß es geschehen – jetzt oder nie. Hör zu: Geh gleich im Salon ganz nah an sie heran und flüstere ihr zu, daß du sie um Mitternacht an der Rademas-Statue am Ende der großen Halle treffen möchtest. Ich werde auch dort sein und aufpassen, daß niemand euch dort sieht. Und vergiß nicht: jetzt oder nie, Curtis!«
Wir schlenderten hinüber in den Salon. Nylephta hatte schon Platz genommen. Sie starrte auf ihre Hände hinab; ein trauriger, angstvoller Ausdruck lag in ihren Augen. Ein Stück von ihr entfernt saß Sorais und unterhielt sich mit Good; ich hörte ihre ruhige, gemessene Stimme deutlich zu mir herüberschallen.
Die Zeit verrann. In einer Viertelstunde – das wußte ich – würden sich die Königinnen wie gewöhnlich in ihre Gemächer zurückziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Sir Henry noch keine Gelegenheit
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