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Allan Quatermain

Allan Quatermain

Titel: Allan Quatermain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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gehabt, Nylephta für einen Moment unter vier Augen zu sprechen; sooft wir die königlichen Schwestern auch sahen, eine Gelegenheit, sie einmal allein zu sehen oder zu sprechen, gab es nur sehr selten. Ich zermarterte mir das Gehirn, und dann hatte ich plötzlich eine Idee.
    »Würde die Königin die Güte haben«, sagte ich, wobei ich mich vor Sorais verbeugte, »ihren Dienern etwas vorzusingen? Unsere Herzen sind schwer in dieser Nacht; sing uns ein Lied, o Herrin.«
    »Meine Lieder sind nicht von der Art, daß sie einem das Herz erleichtern könnten, Macumazahn, und doch; wenn es dir Freude bereitet, dann will ich gern singen«, war ihre Antwort. Und dann erhob sie sich und ging ein paar Schritte zu dem Tisch, auf dem ein Instrument lag, das einer Zither nicht unähnlich war. Gedankenverloren schlug sie leise ein paar Saiten an.
    Und dann, ganz plötzlich und unvermittelt, erhob sie ihre weiche Stimme zu einem Lied; ihre Stimme klang so wild und süß wie der Gesang eines klagenden, aus voller Kehle jubilierenden Vogels – und doch war der Refrain so unheimlich und traurig, daß mir fast das Blut in den Adern gefror. Hoch, immer höher, schwebten die Klänge, weit in der Ferne schienen sie zu verhallen, um sich dann wieder zu voller Kraft aufzuschwingen und weiterzufliegen – beladen mit allem Kummer der Welt und mit all der Verzweiflung der Verlorenen ... Es war ein herrliches Lied, aber ich hatte nicht die Muße, mich seinem Klang gebührend zu widmen. Ich bekam jedoch später die Gelegenheit, mir den genauen Text anzusehen. Hier ist eine Übersetzung seines Leitmotivs, soweit eine solche überhaupt möglich ist:
     
    SORAIS' LIED
     
    Wie ein einsamer Vogel auf seinem verlorenen Flug durch die Finsternis,
    Wie eine Hand, die sich hilflos erhebt, wenn die Sichel des Todes fällt,
    So ist das Leben! ja, das Leben, das meinem Gesang Leidenschaft und Odem verleiht.
     
    Wie das Lied der Nachtigall, das erfüllt ist von unaussprechlicher Süße,
    Wie der Geist, der des Himmels Pforten aufstößt, um nach einem Zeichen zu suchen,
    So ist die Liebe! ja, die Liebe, die sterben wird, wenn ihre Schwingen gebrochen.
     
    Wie das Donnern der Legionen, wenn die Trompeten zum Angriff blasen,
    Wie der Ruf des Sturmgottes, wenn Blitze durch den dunklen Himmel zucken,
    So ist die Macht, ja die Macht, die am Ende zu Staub zerfallen wird.
     
    So kurz ist unser Leben; und doch lang genug, uns Verzicht zu lehren,
    Ein bitterer Wahn, ein Traum, aus dem uns nichts erwecken kann,
    Bis des Todes ohn' Unterlaß uns nachspürender Schritt uns eines Morgens oder Abends einholt.
     
    Refrain
    Oh, die Welt, sie ist schön, wenn dämmert der Morgen – der Morgen,
    Doch die rote Sonne versinkt im Blut – die Sonne versinkt im Blut.
     
    Ich wünschte nur, ich hätte können auch die Musik aufschreiben!
    »Los, Curtis – jetzt!« flüsterte ich, in dem Augenblick, als Sorais mit der zweiten Strophe anfing. Dann wandte ich ihm wieder den Rücken zu.
    »Nylephta«, sagte er im Flüsterton – ich war unter einer solch starken nervlichen Anspannung, daß ich jedes Wort verstehen konnte, obwohl sie sehr leise miteinander sprachen und trotz Sorais' göttlichem Gesang –, »Nylephta, ich muß heute nacht mit dir sprechen – so wahr ich lebe, ich muß es! Sag nicht nein; oh, bitte sag nicht nein!«
    »Aber wie kann ich mit dir sprechen?« fragte sie, die Augen starr nach vorn gerichtet. »Königinnen sind nicht wie andere Menschen. Ich bin ständig von Wachen umgeben.«
    »Höre, Nylephta, wie es geschehen soll: Ich werde um Mitternacht bei der Statue des Rademas in der großen Halle sein. Ich kenne das Losungswort und kann die Halle unbehelligt betreten. Macumazahn wird auch dort sein und uns warnen, wenn jemand naht. Bei ihm wird auch der Zulu sein. O komme, meine Königin, weise mich nicht ab!«
    »Es geziemt sich nicht«, sagte sie leise, »und morgen ...«
    In diesem Augenblick verklangen die letzten klagenden Töne des Refrains, und Sorais drehte sich langsam um.
    »Ich werde dort sein«, sagte Nylephta hastig; »sieh zu, daß wir uns nicht verpassen.«

16
     
    An der Statue
     
     
    Es war Nacht – tiefe Nacht –, und die finster blickende Stadt lag in tiefer Ruhe.
    Sir Henry Curtis, Umslopogaas und ich schlichen uns heimlich, wie Übeltäter, durch die Gänge, die zu einem Nebeneingang des großen Thronsaals führten. Einmal schreckte uns der laut durch die Stille hallende Anruf des Wachtpostens auf. Ich gab das Losungswort, und

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