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Allan Quatermain

Allan Quatermain

Titel: Allan Quatermain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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der Mann setzte seinen schon erhobenen Speer wieder ab und ließ uns passieren. Als Offiziere der königlichen Leibgarde hatten wir das Recht, zu kommen und zu gehen, wann immer wir wollten.
    Wir erreichten sicher und unbehelligt die Halle. Sie war so leer und still, daß selbst unsere leisen Schritte an den stattlichen Wänden widerhallten und als schwaches Echo von der Decke zurückgeworfen wurden, so daß sie sich anhörten wie die geisterhaften Schritte von Verstorbenen, die jetzt ihre Stätte früherer Tage heimsuchten.
    Es war ein unheimlicher Ort; ein unangenehmes Gefühl von Beklommenheit beschlich mich. Es war Vollmond, und durch die hohen, fensterlosen Öffnungen in der Wand fielen bleiche Lichtstreifen in die Halle und malten weiße Flecken auf den glänzenden schwarzen Marmorboden. Es war ein schöner und zugleich schauerlicher Anblick; wie weiße Blumen auf einem schwarzen Sarg. Einer dieser silbernen Lichtstreifen fiel auf die Statue des schlafenden Rademas; mit sanftem, klarem Licht schien er auf die über ihn gebeugte Engelsgestalt und tauchte einen kleinen Kreis um die Statue herum in einen blassen Schein, der mich an das Licht erinnerte, mit dem die Katholiken die Altäre ihrer Kathedralen illuminieren.
    Dicht im Schatten der Statue bezogen wir Stellung und warteten. Sir Henry und ich standen nahe beieinander. Umslopogaas stand ein paar Schritte entfernt in der Dunkelheit. Ich konnte nur ganz schwach die Umrisse seiner Gestalt erkennen, die sich auf die ebenfalls nur schemenhaft wahrnehmbare Axt stützte.
    Die Zeit verstrich. Ich stand gegen den kalten Marmor gelehnt und wäre beinahe eingeschlafen, als ich plötzlich zusammenfuhr; Curtis hatte heftig den Atem ausgestoßen. Und dann hörte ich wie aus weiter Ferne einen Laut. Es schien mir fast, als hätten sich die Statuen, die in einer Reihe vor den Wänden aufgestellt waren, leise eine Botschaft aus längst vergangenen Tagen zugeflüstert.
    Es war das leise Rauschen eines Damengewandes. Es kam näher und näher. Wir sahen, wie sich eine Gestalt von einem mondbeschienenen Fleck zum andern vortastete. Dann nahmen wir auch das kaum hörbare Geräusch sandalenbeschuhter Füße auf dem Marmorboden wahr. Sekunden später sah ich, wie die Silhouette des alten Zulu die Hand zu einem stummen Gruße erhob, und dann stand Nylephta vor uns.
    Oh, wie wunderschön sie aussah, als sie einen Moment lang in dem Kreis weißen Mondlichtes stand! Sie hatte die Hand auf ihr Herz gepreßt, und ihr weißer Busen hob und senkte sich vor innerer Erregung. Um ihren Kopf hatte sie lose ein besticktes Tuch geschlungen, das ihr makelloses Gesicht halb verbarg und damit nur noch anmutiger machte; Schönheit, die ja zum großen Teil auf unserer Vorstellungskraft und Phantasie beruht, wirkt niemals bezaubernder, als wenn sie halb verborgen ist. Da stand sie in all ihrer strahlenden Schönheit, halb vom Zweifel geplagt, majestätisch und doch so süß und zart. Und von einem Moment auf den anderen, dort, an der Statue des Rademas in der großen Halle des Palastes, faßte mich selbst ein Gefühl tiefer Zuneigung zu ihr; es ist bis zum heutigen Tage so geblieben. In jenem Augenblick erschien sie mir in der Tat mehr wie ein Engel, der vom Himmel zu uns heruntergestiegen ist, als eine liebende, von lebendigen Gefühlen und Leidenschaften ergriffene Frau aus Fleisch und Blut. Wir verbeugten uns tief vor ihr, und dann sprach sie.
    »Ich bin gekommen«, flüsterte sie, »aber es war ein großes Wagnis. Ihr wißt nicht, wie sehr ich bewacht werde. Die Priester beobachten mich auf Schritt und Tritt. Auch Sorais läßt mich niemals aus den Augen. Meine eigenen Leibwächter bespitzeln mich; Nasta verfolgt mich ständig. Oh, er soll sich hüten!« sie stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Er soll sich nur vorsehen! Ich bin eine Frau, und ich bin eine Königin, und ich kann mich noch immer rächen! Er möge sich vorsehen, sage ich, daß ich nichts statt ihm meine Hand zu reichen, ihm seinen Kopf nehme!« Und dann schloß sie ihren Wutausbruch mit einem kleinen Schluchzer, schaute uns bezaubernd an und lachte.
    »Du batest mich, hierher zu kommen, Incubu« (Curtis hatte sie gebeten, ihn so zu nennen). »Zweifelsohne handelt es sich um eine wichtige Staatsangelegenheit; ich weiß doch, daß du immer voller großer Ideen und Pläne bist für mein Wohlergehen und das meines Volkes. So bin ich denn gar gekommen in meiner Eigenschaft als Königin, wiewohl ich mich allein in der Dunkelheit sehr

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