Allan Quatermain
fürchte.« Dann lachte sie wieder und schaute ihn mit ihren grauen Augen an.
An dieser Stelle hielt ich es für angebracht, mich ein wenig abseits zu stellen, da ich der Ansicht bin, daß ›Staatsgeheimnisse‹ nicht unbedingt etwas für die Öffentlichkeit sind. Aber weit kam ich nicht; sie bestand hartnäckig darauf, daß ich mich nicht weiter als vielleicht fünf Yards von ihr entfernte, da sie, wie sie behauptete, Angst hatte, so allein mit Curtis plötzlich entdeckt zu werden. So kam es, daß ich gegen meinen Willen Zeuge der ganzen Unterredung zwischen den beiden wurde.
»Du weißt sehr wohl, Nylephta«, sagte Sir Henry, »daß es nicht solche Gründe sind, die mich veranlaßten, dich um eine Unterredung an solch einsamem Orte zu bitten. Nylephta, ich beschwöre dich, vergeude nicht die Zeit mit heiteren Späßen, sondern höre mich an! Ich – ich liebe dich!«
Als er diese Worte gesagt hatte, sah ich deutlich, wie sich ihr Gesicht mit einem Schlag veränderte. Die Koketterie verschwand völlig aus ihren Zügen, und an ihre Stelle trat der tiefe, zauberhafte Schein der Liebe, der es wie eine Aura zu umhüllen schien, so daß es aussah wie das Antlitz des marmornen Engels, der über ihr schwebte. Und unwillkürlich kam mir der Gedanke, daß der längst verstorbene Rademas in einem Anflug prophetischen Instinktes das Abbild seiner inspirierenden Traumerscheinung mit eben jenen Zügen versehen hatte, die, Jahrhunderte später, eine seiner eigenen Urenkelinnen tragen sollte. Auch Sir Henry muß die frappierende Ähnlichkeit bemerkt haben; denn ich sah, wie sein erstaunter Blick von Nylephta auf die vom Mondlicht umspielte Statue glitt, wo er einen Augenblick verweilte, um sich dann wieder dem Antlitz der geliebten Frau zuzuwenden.
»Du sagst, daß du mich liebst«, flüsterte sie. »Deine Stimme klingt, als sprächest du die Wahrheit. Aber woher soll ich wissen, daß du auch wirklich die Wahrheit sprichst?«
»Wiewohl ich«, fuhr sie in stolzer Bescheidenheit fort, nun in die würdevolle dritte Person verfallend, die bei den Zu-Vendi so häufig benutzt wird, »klein und unbedeutend bin in den Augen meines Gebieters«, und dabei machte sie vor ihm einen Knicks, »der aus den Reihen eines wunderbaren Volkes hervorgegangen ist, im Vergleich mit dem die Menschen meines Volkes nur Kinder sind, so bin ich hier, bei meinem Volke, doch eine Königin, und Männer sind meine Untertanen; und wenn ich in die Schlacht zöge, so würden hunderttausend Speere in meinem Gefolge funkeln, so wie die Sterne erglitzern im Pfade des Mondes. Und ist auch meine Schönheit nur ein Nichts in den Augen meines Herrn ...« – sie raffte ihr besticktes Gewand und verneigte sich abermals vor Curtis –, »so gelte ich doch hier, bei meinem eigenen Volke, als schön, und seit ich zur Frau heranreifte, haben sich die großen Fürsten meines Königreiches untereinander um mich befehdet, als wäre ich fürwahr ...«, fügte sie mit aufblitzender Leidenschaft hinzu, »ein Reh, das dem reißendsten Wolf in den Rachen fallen, oder ein Pferd, das an den, der am meisten bietet, verkauft werden soll. Mein Gebieter möge verzeihen, wenn ich ihn mit meinen Worten langweile, aber mein Gebieter hat gesagt, daß er mich, Nylephta, eine Königin der Zu-Vendi, liebt, und so möchte ich antworten, daß meine Liebe und meine Hand, wiewohl sie für meinen Gebieter ein Nichts sind, für mich doch alles sind.«
»Oh!« rief sie mit plötzlich veränderter Stimme aus, dabei auf ihre vorherige, würdevolle Redeweise verzichtend. »Oh, wie kann ich wissen, daß du nur mich liebst? Wie kann ich wissen, ob du nicht bald meiner überdrüssig bist, wieder in deine Heimat zurückkehren willst und mich im Stich läßt? Wer kann mir sagen, ob du nicht eine andere Frau liebst, eine schöne Frau, die ich nicht kenne, und die unter demselben Mondlicht atmet, das heute nacht auf mich herabscheint? Sag an, wie soll ich es wissen?« Und sie faltete die Hände, streckte sie ihm beschwörend entgegen und sah ihn mit einem flehenden Ausdruck an.
»Nylephta«, antwortete Sir Henry, »ich habe dir gesagt, daß ich dich liebe; und ich kann dir nicht sagen, wie groß meine Liebe zu dir ist. Gibt es denn ein Maß, mit dem man die Größe der Liebe ermessen kann? Und doch will ich es versuchen. Ich sage nicht, daß ich noch nie eine andere Frau mit Gefallen betrachtet habe, aber ich sage, daß ich dich mit all meinem Herzen und all meiner Kraft liebe; daß ich dich jetzt liebe
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