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Allan Quatermain

Allan Quatermain

Titel: Allan Quatermain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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verflogen. Und mit der für sie charakteristischen Schnelligkeit und Vollständigkeit wechselte sie von der Rolle der reizenden, dickköpfigen Dame in die der Königin und entscheidungsfreudigen Frau. Die Wandlung vollzog sich plötzlich, aber sie war perfekt.
    »Deine Worte sind weise, Macumazahn. Verzeih mir meine Dummheit. Oh, was für eine Königin ich sein könnte, wenn ich doch nur kein Herz besäße! Herzlos zu sein – das bedeutet, alles zu unterwerfen. Die Leidenschaft ist wie ein Blitz; sie ist schön, und sie verbindet Himmel und Erde miteinander, aber leider macht sie blind!
    Und du glaubst also, daß meine Schwester gegen mich Krieg anfangen will. Nun, so möge sie es tun. Doch soll sie nicht den Sieg über mich davontragen. Auch ich habe Freunde und Gefolgsleute! Und ich sage dir, es sind viele, die laut ›Nylephta!‹ rufen werden, wenn meine Fahne an Türmen und Zinnen hochgeht und wenn heute nacht das Licht meiner Signalfeuer von Felsspitze zu Felsspitze springt und die Botschaft meines Krieges ins Land hinaus trägt. Ich werde ihre Macht zerbrechen und ihre Armeen in alle Winde zerstreuen. Ewige Nacht soll das Los der ›Herrin der Nacht‹ sein. Gib mir jenes Pergament und die Tinte! So, und nun ruf den wachhabenden Offizier aus dem Vorzimmer! Er ist ein treuer und zuverlässiger Mann.«
    Ich tat, wie mir geheißen. Der Mann, ein Veteran und gutmütig aussehender Mann der Garde namens Kara, trat ein und machte eine tiefe Verbeugung.
    »Nimm dieses Pergament!« befahl Nylephta. »Es ist deine Vollmacht. Bewache alle Ein- und Ausgänge zu den Gemächern meiner Schwester Sorais, der ›Herrin der Nacht‹ und Königin von Zu-Vendis. Sorge dafür, daß niemand herein- oder herauskommt. Du bürgst mir mit deinem Leben dafür!«
    Der Mann schaute sie bestürzt an. Er enthielt sich jedoch eines Kommentars und sagte lediglich: »Der Wille der Königin geschehe.« Dann ging er hinaus. Als nächstes sandte Nylephta einen Boten zu Sir Henry, der auch kurz darauf in das Zimmer trat. Er sah ungewöhnlich bedrückt aus. Ich war schon auf einen erneuten Wutausbruch von Nylephta gefaßt; aber wundersam sind doch die Wege der Frauen – sie verlor nicht ein Wort über Sorais und seine vermeintliche Untreue, sondern begrüßte ihn mit einem freundlichen Nicken und sagte ihm, sie benötige seinen Rat in einer Angelegenheit von höchster Wichtigkeit. Und dennoch – da war so ein seltsamer Blick in ihren Augen, und ihr Verhalten ihm gegenüber schien mir doch ein wenig von unterdrückter Energie gekennzeichnet zu sein. Ich vermutete daher, daß sie die Sache noch nicht vergessen hatte und sie sich für einen späteren Zeitpunkt, an dem die beiden allein waren, aufsparen wollte.
    Kurz nachdem Curtis gekommen war, kam der Offizier wieder zurück und meldete, daß Sorais verschwunden sei. Der Vogel war also schon ausgeflogen! Sie hatte unter dem Vorwand, die Nacht in der Meditation vor dem Altar zu verbringen – was bei Damen der höheren Gesellschaft in Zu-Vendis nicht unüblich war –, ihre Gemächer verlassen und war in den Tempel gegangen. Wir tauschten alle miteinander verständnisinnige Blicke aus. Sorais hatte in der Tat keine Zeit verloren.
    Dann machten wir uns an die Arbeit.
    Wir ließen sofort alle Generäle, denen man vertrauen konnte, aus ihren Quartieren zusammentrommeln. Wir informierten jeden einzelnen von ihnen über die Lage der Dinge, soweit es uns wünschenswert erschien, und entließen sie dann mit der strikten Auflage, so schnell wie möglich alle ihre verfügbaren Kräfte zusammenzuholen. Ähnlich verfuhren wir mit allen den einigermaßen mächtigen Landesfürsten, von denen Nylephta wußte, daß sie sich auf sie verlassen konnte. Einige von ihnen verließen noch am selben Tag die Stadt, um in entlegenen Landesteilen ihre Lehnsmänner und Gefolgsleute zu den Waffen zu rufen. Und noch vor Einbruch der Nacht sandten wir etwa zwanzig Boten mit versiegelten Briefen aus, die alle an die Regenten weit abgelegener Städte und Landstriche gerichtet waren. Wir befahlen den Boten, Tag und Nacht zu reiten, bis die Briefe in die Hände ihrer Adressanten gelangt waren. Desgleichen sandten wir zahlreiche Kundschafter aus. Wir schufteten den ganzen Nachmittag und Abend hindurch, assistiert von mehreren verläßlichen Schreibern. Die Energie und Überlegenheit, mit der Nylephta dabei zu Werke ging, erweckte meine tiefste Hochachtung. Als wir schließlich zurück in unsere Quartiere gingen, war es acht Uhr. Wir

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