Allan Quatermain
südlich von M'arstuna, wo Sorais sich bekanntlich aufhielt, und somit etwas mehr als neunzig Meilen nördlich von Milosis verlief die Straße über einen Paß von etwa zweieinhalb Meilen Breite. Er wurde an dieser Stelle auf beiden Seiten von bewaldeten Hügeln flankiert. Diese waren, wenn man gleichzeitig die Straße blockierte, auch wenn sie nicht besonders hoch waren, für eine große Armee mit schwerem Troß unpassierbar. Nylephta schaute mit ernstem Gesichtsausdruck auf die Karte, und plötzlich, mit einem verblüffend schnellen Wahrnehmungsvermögen, wie es bei manchen Frauen schon fast an Instinkt grenzt, tippte sie mit dem Finger auf eben jenen Paß. Dann wandte sie sich zu ihrem Gemahl um, warf ihre goldene Haarpracht in den Nacken und sagte mit stolzer, zuversichtlicher Miene: »Hier sollst du Sorais' Armee stellen. Ich kenne den Flecken, hier sollst du sie stellen, und du sollst sie vor dir hertreiben wie der Sturm den Staub!«
Sir Henry schaute düster drein und sagte nichts.
20
Die Schlacht am Paß
Es war am Morgen des dritten Tages nach dieser kleinen Szene mit der Landkarte, als Sir Henry und ich aufbrachen. Mit Ausnahme einer kleinen Wachmannschaft war die Hauptmasse des Heeres schon in der Nacht losmarschiert. Nun lag die finster blickende Stadt fast leer und totenstill da. Wir hatten es uns einfach nicht leisten können, irgendeine größere Besatzung zurückzulassen außer der persönlichen Leibwache Nylephtas und ungefähr tausend Mann, die wegen Krankheit oder aus sonstigen Gründen nicht mit in den Kampf ziehen konnten; aber da Milosis praktisch uneinnehmbar war, und da unser Feind sich vor uns befand und nicht in unserem Rücken, war das nicht so schlimm.
Good und Umslopogaas waren schon mit dem Heer vorausgeeilt, und so begleitete uns Nylephta allein zum Stadttor. Sie ritt einen herrlichen Schimmel, der als das schnellste und ausdauerndste Pferd in ganz Zu-Vendis galt. Ich konnte sehen, daß sie geweint hatte; doch in diesem Moment waren keine Tränen mehr in ihren Augen. Ich muß sagen, sie verhielt sich wirklich bewundernswert tapfer angesichts dieser für sie so schweren Schicksalsprüfung. Am Stadttor angekommen zügelte sie ihr Pferd und sagte uns Lebewohl.
Am Tage zuvor hatte sie noch die Parade abgehalten und eine Rede an die Offiziere des großen Heeres gehalten. Sie hatte in solch erhabenen, bewegten Worten zu ihnen gesprochen und dabei so überzeugend ihr Vertrauen in ihren Heldenmut und ihren Sieg zum Ausdruck gebracht, daß sie wahrlich ihrer aller Herzen im Sturm erobert hatte, und als sie von Linie zu Linie geritten war, hatten ihr die Männer zugejubelt, daß der Boden schier erbebte. Und heute, in diesem Augenblick, schien sie wieder von derselben Glut beseelt zu sein.
»Leb wohl, Macumazahn!« rief sie mir zu. »Und vergiß nicht, ich vertraue darauf, daß es deinem Verstande, der wie eine Nadel ist zu einem Speergriff im Vergleiche zu dem meines Volkes, gelingen wird, uns vor Sorais zu bewahren. Ich weiß, daß du deine Pflicht tun wirst.«
Ich verbeugte mich und erklärte ihr, welche Angst ich vor dem Kampfe hätte und daß ich befürchtete, meinen Kopf zu verlieren. Aber sie lächelte nur sanft und wandte sich Curtis zu.
»Leb wohl, mein Geliebter! Kehre als stolzer Sieger und als König zurück – oder auf den Speeren deiner Krieger * .«
Sir Henry sagte nichts, sondern wendete sein Pferd, um loszureiten.
»Hier, an diesem Tor«, fügte Nylephta hinzu, »werde ich dich empfangen, wenn du im Triumphzug zurückkehrst. Und nun, zum letzten Male: Lebt wohl!«
Dann ritten wir los. Als wir uns etwa hundert Yards vom Tor entfernt hatten, blickten wir uns um und sahen, daß sie noch immer an derselben Stelle auf ihrem Pferd saß und uns unter dem Schutz ihrer Hand, die sie wie einen Schirm über die Augen gelegt hatte, nachblickte. Und bald war sie außer Sichtweite.
Wir waren jedoch kaum eine Meile geritten, als wir hinter uns das Galoppieren von Hufen hörten. Wir schauten uns um und erblickten einen berittenen Soldaten, der rasch näher kam. Am Zügel führte er Nylephtas unvergleichliches Roß – Daylight!
»Die Königin sendet ihrem Gebieter Incubu den weißen Hengst als Abschiedsgeschenk, und sie gab mir den Auftrag, ihrem Gebieter zu sagen, daß es das schnellste und ausdauerndste Pferd im ganzen Lande ist«, sagte der Soldat und verbeugte sich vor uns bis zum Sattelbogen.
Zuerst wollte Sir Henry das Pferd nicht annehmen, mit der Begründung,
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