Allan Quatermain
kleiner Sitz für den Fahrer. Der Sitz war mit einem niedrigen Geländer umgeben, damit der Fahrer in Kurven oder auf unwegsamer Strecke nicht heruntergeschleudert wurde. Im Innern des Wagens befanden sich drei flache Sitze, jeweils einer an den Seiten, und der dritte mit dem Rücken zu den Pferden. Diesem Sitz gegenüber befand sich die Tür. Das ganze Gefährt war leicht, aber stabil gebaut und dank seiner anmutigen Form trotz seiner Primitivität gar nicht einmal so unansehnlich, wie man meinen könnte.
Was jedoch diese Wagen zu wünschen übrigließen, das machten die Pferde mehr als wett. Es waren einfach herrliche Tiere, nicht sehr groß, aber von starkem Wuchs und vollendeten Proportionen. Sie hatten einen kleinen Kopf, bemerkenswert große, runde Hufe und machten den Eindruck hervorragender Zucht und großer Schnelligkeit und Ausdauer. Ich habe mir schon sehr häufig die Frage gestellt, woher diese Rasse, die eine ganze Reihe besonderer Eigenarten aufweist, wohl stammen mag, aber ihre Herkunft liegt wie die ihrer Besitzer im Dunkeln. Ebenso wie die Menschen waren auch die Pferde schon immer dagewesen.
Der vordere und der hintere Wagen waren mit Gardisten besetzt. Zu diesen beiden wurden wir nun geführt. Alphonse und ich stiegen in den zweiten, Sir Henry, Good und Umslopogaas in den dritten. Kaum hatten wir Platz genommen, als sie auch schon losfuhren. Und ab ging die Post, daß sich mir die Nackenhaare sträubten! Bei den Zu-Vendi ist es nicht üblich, Pferde traben zu lassen, weder als Kutschpferde noch als Reittiere; es sei denn, die Strecke, die man zurücklegen will, ist nur sehr kurz. Ansonsten prescht man in vollem Galopp dahin. Wie gesagt – wir saßen also kaum, als der Fahrer auch schon die Zügel schießen ließ, und die Pferde mit einem mächtigen Satz nach vorne sprangen. Sogleich jagten wir mit einer solch irrsinnigen Geschwindigkeit dahin, daß es mir fast den Atem verschlug und ich einen Moment lang bevor ich mich an das Tempo gewöhnt hatte, fürchtete, der Wagen würde umkippen. Alphonse saß mit schreckensbleichem Gesicht auf seinem Sitz und klammerte sich verzweifelt am Rand fest, im sicheren Glauben, jede Minute sei seine letzte. Kurz darauf kam er auf die Idee, mich zu fragen, wohin die Fahrt ginge, und ich antwortete ihm, wir sollten, soweit ich wüßte, auf dem Flammenaltar geopfert werden. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen, als er sich an den Rand des Gefährtes krallte und in blankem Entsetzen losschrie, als steckte er schon am Spieß!
Aber der wilde Kutscher beugte sich nur weiter nach vorn über seine dahinfliegenden Rösser und rief etwas; und der Wind, der an uns vorüberpfiff, trug den Klang von Alphonses Jammergeschrei rasch davon.
Und dann lag er vor uns, in all seinem wunderbaren Glanz und seiner berauschenden Pracht und Anmut – der Tempel der Sonne, der Stolz von Zu-Vendis, der für jenes Volk das ist, was für die Juden der Tempel des Salomo, oder besser der des Herodes war. In den Bau dieses erhebenden Werkes waren der Reichtum, das Können und die Arbeitskraft ganzer Generationen geflossen; erst fünfzig Jahre zuvor war der Tempel endgültig vollendet worden. Alles, was das Land zu bieten hatte, war in dieses Werk eingegangen, und das Ergebnis war in der Tat eine große Entschädigung aller Mühen und Anstrengungen, nicht so sehr, was die Größe betraf – es gibt größere Tempel auf der Welt –, sondern in erster Linie, was die perfekten Proportionen, die Kostbarkeit und die Schönheit der verbauten Materialien und die überragende Ausführung des Gebäudes betraf. Der Tempel (der für sich allein auf einer Gartenfläche von etwa acht Morgen Ausdehnung auf dem Gipfel der Anhöhe steht, umgeben von den Wohnstätten der Priester), hat die Form einer Sonnenblume. Den Mittelpunkt bildet eine Halle mit einem Kuppeldach, von der aus zwölf Höfe, die die Form eines Blütenblattes haben, strahlenförmig abgehen. Jeder dieser Höfe ist einem der zwölf Monate gewidmet. Sie dienen als Aufbewahrungsort für die Statuen, die man zu Ehren berühmter Verstorbener geschaffen hatte. Die Länge des Kreisbogens unterhalb der Kuppel beträgt dreihundert Fuß, die Höhe der Kuppel beträgt vierhundert Fuß. Die Strahlen sind einhundertfünfzig Fuß lang, und in der Höhe messen sie vom Boden bis zum Dach dreihundert Fuß, so daß sie exakt wie die Blütenblätter einer Sonnenblume in den kuppelbedachten Saal einmünden. So beträgt die Entfernung vom Hauptaltar in der Mitte
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