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Allan Quatermain

Allan Quatermain

Titel: Allan Quatermain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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Sonne; der Kreisbogen mißt sechsunddreißig Fuß; die Höhe des Altars beträgt vier Fuß. Am Fuße des Altars befinden sich ebenfalls zwölf Blütenblätter; sie sind aus purem Blattgold und mit Scharnieren versehen. Des Nachts und tagsüber (mit Ausnahme einer Stunde) bilden diese Blütenblätter einen geschlossenen Kelch über dem Altar, genau wie die Blütenblätter, die sich bei stürmischem Wetter um das Haupt der Wasserrose schließen. Wenn jedoch zur Mittagsstunde die Strahlen der Sonne durch den Luftschacht oben hereinfallen und auf die goldene Blume treffen, dann öffnet sich der Kelch und enthüllt das in ihm schlummernde Geheimnis, nur, um sich sofort wieder zu verschließen, sobald der letzte Strahl sich verloren hat.
    Aber das ist noch nicht alles. Auf der Nord- und der Südseite der heiligen Stätte stehen, halbkreisförmig angeordnet und in gleichem Abstand zueinander aufgestellt, zehn goldene Engel, oder vielmehr Frauenfiguren mit weit ausgebreiteten Schwingen; sie sind hervorragend geformt, und selbst der Faltenwurf ihrer Gewänder ist bis ins kleinste Detail perfekt gestaltet. Diese Engelsfiguren, die leicht überlebensgroß sind, stehen mit gebeugten Häuptern in andächtiger Pose da, die Gesichter halb in den Schatten der Schwingen getaucht. Sie sind in der Tat von eindrucksvoller Schönheit und bewegender Anmut.
    Dieser Altar weist noch eine weitere Einzelheit auf, die einer kurzen Beschreibung bedarf: nämlich der Fußboden direkt vor dem Altar, und zwar auf der Ostseite desselben; er besteht nicht, wie sonst überall in dem Bauwerk, aus reinem weißem Marmor, sondern aus solidem Messing. Ähnliche Bodenplatten befinden sich auch vor den anderen beiden Altären.
    Die Altäre auf der West-, beziehungsweise Ostseite der Halle, die die Form eines Halbkreises haben und dicht vor der Wand des Gebäudes stehen, sind weit weniger beeindruckend als der Hauptaltar; sie sind auch nicht von goldenen Blütenkelchen umschlossen wie jener. Jedoch sind auch sie ganz aus Gold, und auch auf jedem von ihnen brennt die heilige Flamme, und je zwei Engelsfiguren aus Gold stehen zu ihrer Seite. Je zwei goldene Strahlen gehen von ihnen aus und ziehen sich über die Wand hinter ihnen schräg nach oben.
    An der Stelle, wo man den dritten Strahl vermuten sollte, also genau zwischen den beiden anderen, befindet sich eine Öffnung in der Wand, die auf der Außenseite recht breit ist, innen jedoch nur noch ein schmaler Schlitz, etwa wie eine sich nach innen allmählich verjüngende Schießscharte. Durch den Schlitz auf der Ostseite der Halle fallen des Morgens die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne quer durch die Halle und treffen, während die Sonne nach Westen wandert, auf den goldenen Blütenkelch des Hauptaltars, bis sie schließlich auch auf den Altar zur Westseite fallen. Desgleichen ruhen zur Abenddämmerung die letzten, durch den Schlitz auf der Westseite hereinfallenden Strahlen der untergehenden Sonne noch eine Weile auf dem Ostaltar, bevor sie schließlich in der Dunkelheit versinken. Dies symbolisiert das Versprechen der Morgen- an die Abenddämmerung, und das der Abend- an die Morgensonne.
    Mit Ausnahme dieser drei Altäre und der um sie herumgruppierten Engelsfiguren ist der gesamte Raum unter der gewaltigen weißen Kuppel bar jeglichen weitem Schmucks, was erheblich zu seiner Erhabenheit und Größe beiträgt.
    Dies also ist die kurze Beschreibung dieses großartigen, wunderbaren Bauwerkes, und ich wünschte mir von Herzen, ich besäße die Fähigkeit, seinem Glanze, der meiner Meinung nach zum großen Teil seiner verblüffenden Einfachheit zu verdanken ist, mit dem ach so unzulänglichen Mittel meiner Feder gerecht zu werden. Aber ich kann es nicht, und so ist es sinnlos, noch mehr Worte darüber zu verlieren. Und wenn ich dieses geniale Meisterwerk vergleiche mit einigen der flitterhaften, wertlosen Gebäude und dem unecht glänzendem Talmi, der in unseren Tagen so häufig von europäischen Kirchenarchitekten hervorgebracht wird, dann habe ich das Gefühl, daß auch die hochzivilisierte Kunst noch etwas von den Meisterwerken der Zu-Vendi lernen kann. Ich kann nur sagen, daß mir, als meine Augen sich zum ersten Mal an das düstere Licht jenes großartigen Bauwerkes, an seine weiße, anmutig geschwungene Schönheit, die so perfekt und erregend ist wie die einer nackten Göttin, gewöhnt hatten, spontan der Ausruf über die Lippen kam: »Sogar einen Hund würden hier religiöse Gefühle überkommen.«

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