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Alle Familien sind verkorkst

Alle Familien sind verkorkst

Titel: Alle Familien sind verkorkst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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genug bemüht habe, meine Ehe zu kitten. Oder - du verstehst, was ich meine. Niemand ist schuld. Es hegt am Chaos. Einfach bloß am Chaos. Zufallszahlen, die bei einer kosmischen Lottoziehung rauskommen.«
    »Glaubst du das wirklich?«
    »Mehr und mehr. Was ist mit dir? Du weißt es erst seit vier Tagen. Was geht in dir vor?«
    »In mir? Ich habe mir immer gedacht, dass ich irgendwas kriegen würde - dass ich es verdient habe -, wenn nicht AIDS, dann Syphilis oder irgendeine Art Superherpes, der meinen Körper in ein einziges wandelndes Geschwür verwandelt. Eigentlich ist es sogar eine Erleichterung. Kein Warten mehr. Das Urteil ist gefallen.«
    »Glaubst du wirklich, dass es Wade war?«
    »Ja. Mein Ruf vermittelt den Leuten den Eindruck, ich sei irgendeine dahergelaufene Schlampe, aber Wade war seit Jahren mein erster Fehltritt. Es war etwas in seinen Augen, so ein gewisser Blick, den er von Ted geerbt hat, und es war der Ted in Wade, der so verführerisch war. Ich könnte die ganze Nacht lang darüber philosophieren.«
    Die zwei Frauen fielen in einen unruhigen Dämmerzustand. Janet malte sich aus, wie Milliarden von Partikeln eines afrikanischen Affenhirnvirus in ihren Adern herumsprudelten wie giftige Sodabläschen. Ich habe früher mal geglaubt, dass die Menschen sich nie verändern, sondern nur immer mehr sie selbst werden. Jetzt bin ich überzeugt, dass man nichts anderes tut, als sich zu verändern. Janet dachte an ihren Vater, den Casanova, und an ihre Mutter, die all die Jahre davon gewusst haben musste. Die Zeit löscht die Besten von uns ebenso aus wie die Schlechtesten. Sie fand es seltsam, dass die Erinnerung stückchenweise verloren geht, unabhängig von dem Gedächtnis als Ganzem. »Woran denkst du?«, fragte Nickie.
    »Daran, wie ich mal in London war«, erwiderte Janet. »Am Piccadilly. Ich hatte keine Uhr und wollte wissen, wie spät es war. Da stieß ich auf einen Rolex-Laden mit hunderten von Armbanduhren im Fenster. Ich nahm an, dass sie alle auf die Sekunde genau gehen müssten. Aber als ich richtig hinsah, zeigte jede Uhr eine völlig andere Zeit, und für ein paar Sekunden fühlte ich mich, als sei ich auf die andere Seite des Spiegels geraten, hinter dem überhaupt keine Zeit existiert.«
    Es klopfte an die Tür, und Nickie brüllte: »Was!«
    Es war das Zimmermädchen, das das Bett für die Nacht aufdecken wollte, doch Nickie rief: »Nein danke.« Sie wandte sich wieder Janet zu und fragte: »Worüber hast du dich bei Ted am meisten geärgert?«
    Janet lächelte. »Du wirst es mir nicht glauben.«
    »Doch.«
    »Wir waren draußen im Vorgarten und sprachen davon, dass wir Dünger für die Azaleen kaufen müssten. Ted fragte mich, ob ich Papiertaschentücher dabei hätte, und als ich nein sagte, schnappte er sich eine meiner schönen rosa Päonien - wunderbar zart, eine Haut wie die Augenlider eines Babys -, pflückte sie vom Strauch, schnaubte hinein und warf dann die benutzte Blüte unter den Mammutbaum.«
    Nickie wieherte vor Lachen.
    »Du lachst! Ich schätze, ich hätte es lustig finden können, aber stattdessen habe ich eine Woche lang nicht mit ihm geredet. Ich köchelte wieder still vor mich hin, wie ich es früher immer gemacht habe. Ich ... konnte mich einfach nicht überwinden, mit einem Mann zu sprechen, der das getan hatte.«
    Die zwei starrten noch eine Weile an die Decke. Dann sagte Janet: »Lass uns Kevin im Krankenhaus besuchen gehen.«
    Nickie überlegte einen Moment. »Ja, das machen wir.«
    Janet hatte nie viel Glück mit Freunden gehabt. Sie hatte immer gehofft, sie und Ted würden Kumpel sein, wie die Figuren in einem Songtext, aber Ted war eher der Boss in ihrem Leben, der stets auf Distanz blieb und von jeglichen Familienangelegenheiten außer denen, die Sarah betrafen, schnell angeödet war. Von ihren Kindern war Wade der Einzige, zu dem sie eine kameradschaftliche Verbundenheit spürte. Sarah war zu kühl, und während sie Janet zwar keine Sekunde Kummer machte, bescherte sie ihr auch keinen Moment der Seligkeit. Und Bryan - Bryan war immer Kind geblieben. Selbst als Erwachsener, der versucht hatte, sich umzubringen, blieb er in Janets Augen ein Kind.
    Als Ted sie verließ und Janet das Haus für sich allein hatte, glaubte sie, vor Langeweile und Einsamkeit verrückt werden zu müssen, im medizinischen Sinne verrückt. Sie war in der Lage, es sich nach außen hin nicht anmerken zu lassen - das wusste sie -, aber sie war die ganze Zeit auf der Suche nach jemandem,

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