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Alle Farben der Welt - Roman

Alle Farben der Welt - Roman

Titel: Alle Farben der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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kann ich mich noch genau erinnern. Damals überkam mich eine Mischung aus Angst und Zärtlichkeit.
    Da war etwas in Ihrem Blick.
    Etwas, das ich nie vergessen habe.
    Sie pressten die Hände an die Scheibe, als wären Sie eingesperrt. Groß waren sie. Und schmutzig. Ich weiß nicht, warum, ich weiß nicht, woher ich so viel Unverfrorenheit nahm, doch ich legte meine Finger auf dem Glas an Ihre, so wie ich es sonst nur mit Joëlle getan hatte und vielleicht als kleines Mädchen mit Icarus.
    Dieser Kontakt währte nur einen kurzen Moment.
    Dann wichen Sie zurück, ganz langsam, ohne den Blick von mir zu wenden. Irgendwann drehten Sie sich um und senkten den Kopf. Ihre Schritte versanken schwer im Gras, immer schneller, Ihre gelbe Öljacke blähte sich im Wind, Ihre zerlumpten Hosen tanzten um Ihre Beine. Der Wind hielt Sie bei mir, blies Sie zum Haus zurück.
    Ich riss das Fenster auf und schrie: »Monsieur!«
    Ein kalter Hauch fuhr in den Salon, und meine Stimme hatte sich so laut erhoben, dass viele sich nach mir umdrehten. »Teresa, was ist los?«, fragte Monsieur Vanheim, als er sah, wie ich die Allee hinabspähte. »Wen rufen Sie denn da?«
    Ich hatte mich nicht gerührt. »Kommen Sie, Monsieur!« Sie blieben stehen und kehrten nach kurzem Zögern langsam zurück. Sie kamen nicht zu mir, Sie gingen zur Haustür. »Dort draußen ist ein Mann, Monsieur Vanheim«, sagte ich. »Ich glaube, er möchte herein.«
    »Dann ist er also doch noch gekommen!«, johlte die beschwipste Madame Vanheim.
    »Wer denn?«, fragte jemand.
    »Der Verrückte, auf den wir schon seit Stunden warten«, antwortete sie und leerte einen weiteren Bierkrug in nur einem Zug.

    Als Sie so am Eingang auf dem Ledersofa saßen, machten Sie wirklich keine gute Figur, Monsieur van Gogh. Ihre Schuhe waren ausgetreten, zerschlissen von einem langen Weg, Ihre Kleider abgewetzt, Ihr Blick verängstigt. Ihre Reisetasche lag auf dem Boden und schien leer zu sein, nicht mehr als ein Lumpen. Hungrig schlangen Sie Suppe und frisches Brot hinunter.
    Alle drängten sich um Sie. Doktor Shepper rückte sein Monokel zurecht.
    »Sind Sie unser neuer Verrückter?«, erkundigte sich Madame Vanheim und bahnte sich einen Weg an den anderen vorbei.
    »Ich? Was reden Sie denn da? Ich verstehe kein Wort«, knurrten Sie, ohne Ihre Mahlzeit zu unterbrechen.
    »Wollen Sie das vielleicht bestreiten?«, sagte sie, vielleicht eine Spur zu laut. Und an die anderen gewandt: »Das ist nicht weiter verwunderlich. Selbst Frank hätte das niemals zugegeben.«
    »Dabei sind viele sogar stolz darauf und sich ihres Zustands durchaus bewusst«, schaltete sich Vikar Torsten ein.
    »Ich bin nicht verrückt!«, sagten Sie nachdrücklich. »Sie haben kein Recht mich zu beleidigen, nur weil ich in so abgerissenem Zustand in Ihr Haus gekommen bin.«
    »Es ist keine Beleidigung, wenn man sagt, dass Sie verrückt sind«, mischte sich nun Doktor Shepper ein. »Und selbst wenn Sie es wären, gäbe es da nichts, wofür Sie sich schämen müssten.«
    »Genau«, stimmte Vikar Torsten zu.
    »Haben Sie Wein?«, fragten Sie etwas verwirrt.
    »Nein, wir trinken hier keinen Wein. Das ist verboten«, antwortete Torsten. »Die einzige erlaubte Ausnahme ist Bier!«
    »Auch gut.« Wahrscheinlich fragten Sie sich, wo Sie da gelandet waren. Doch eigentlich waren Sie zu müde, um Fragen zu stellen, und hofften nur, man werde Sie nicht aus dem warmen Haus jagen.
    »Wie heißen Sie?«, erkundigte sich der Vikar.
    »Vincent.«
    »Fragen Sie ihn, wieso er überhaupt hier ist, wenn er nicht der Verrückte ist, auf den wir warten«, warf Madame Vanheim ein. »Als könnte es jemanden in dieses Dorf verschlagen, ohne dass er absichtlich herkommt! Das hier ist ja nun wirklich kein Ort für die Sommerfrische!«
    »Ich bin über die Felder gekommen ...«
    »Über die Felder?«
    »Ich habe Musik gehört, und von Weitem sah ich ein Fenster ...«
    »Was habe ich euch gesagt, er ist es! Immerhin hat er es nicht gleich eingeschlagen ... Aber wieso hatte die Kutsche denn so viel Verspätung? Und normalerweise ist doch immer ein Pfleger dabei! Ich kann diese Pfleger wirklich nicht ausstehen! Umso besser, dass er allein ist!«
    »Lass es gut sein, Emma, begreifst du denn nicht, dass er nicht aus Brüssel gekommen sein kann?«, unterbrach Monsieur Vanheim sie.
    Ich schaute Sie an.
    Ich stand ein Stück weg, hinter den anderen, und lugte schüchtern zwischen den Armen hindurch. Monsieur Vanheim hatte recht. Sie waren nicht unser

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