Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
Vom Netzwerk:
auf die Entfernung mit der kleinen Flamme die noch nicht brennenden Dochte anzustecken. Am ausgestreckten Arm werden die Stangen schwer. Langsam füllt sich die Kirche. Menschen grüßen einander, als kämen sie in ein Wohnzimmer. Das Fest wird so lange dauern, bis die Kerzen heruntergebrannt sind. Christbaumkerzenuhr. Während die Erwachsenen und die kleinen Kinder des Dorfs in den Bänken sitzen, versammeln sich in den hinteren, versteckten Räumen der Kirche die Schulkinder. Manfred, Silvia, Andreas rutschen zu mir in die Bank. Nun ziehen die gut 90 Kinder der Senter Schule und ihre Lehrer ein und stellen sich im Chor und entlang der Apsis auf. Sie werden klassenweise, auch stufenweise mit ihren Lehrerinnen und Lehrern singen. Die jüngsten Schüler sind sieben; die ältesten 16 Jahre alt. Den 24. Dezember feiert das Dorf gemeinsam. Weihnachtsessen und Geschenke gibt es morgen. »Propcha ün bel bös-chin«, sagt neben mir eine alte Frau und nickt. Wirklich ein schöner Weihnachtsbaum. Ich bestätige
auf romanisch. Aber als sie nun ein Gespräch mit mir anfangen möchte, kann ich nicht viel sagen. Und als ich auf Deutsch ausweiche, merke ich, daß sie nicht so viel Deutsch kann, daß sie es jetzt sprechen möchte.

Samstag, 26. Dezember
    Anreisetag. Es ist schon dunkel, als unsere Feriengäste kommen. Sie standen dreieinhalb Stunden vor dem Vereinatunnel. Aber sie lachen.
    Unsere Freunde aus Köln kommen noch später. Sie standen vier Stunden ab Küblis, erzählen sie. Die Stimmung sei aber gelassen gewesen. Man habe gelesen, gestrickt, Filme im Computer angesehen. Wir essen in Scheiben geschnittene Kartoffeln mit Salz und Olivenöl, wie in Griechenland. Mozzarella mit Basilikum, Oliven und die Reste einer Bündner Nußtorte. Dann begleite ich die Kölner Freunde durch den Schnee zu ihrer Ferienwohnung. Sie gehört einem Ehepaar aus Verona. Als mir die beiden die Schlüssel für unsere Freunde gegeben haben, bemühten sie sich, deutsch zu sprechen, obwohl ich versucht habe, italienisch zu antworten. Zum Abschied sprachen sie etwas romanisch. Das Romanische immer als Geste. Die Verbeugung vor der Sprache, vor dem Dorf. Ihre Wohnung ist sehr schön, Schieferböden, gewachste Holzböden, die Front gegen das Tal verglast, ein großer, überdachter Balkon. Sie liegt in einem der neuen Niedrigenergiehäuser von Sent.

Sonntag, 27. Dezember
    Die letzten Tage hatte es geregnet. Gestern am späten Vormittag war der Regen in Schnee übergegangen. Das Wasser in den Straßen fror. Innerhalb weniger Stunden lagen 20 cm Neuschnee. Heute Sonne und der Himmel ist blau. Immer nach dem Schnee, sagt man hier, wird es schön.
    Der Schnee haftet gut an den Zweigen, die Bäume sehen aus wie übertrieben gemalt. Wattig, weich, Schnee wie Zuckerguß auf Lebkuchenhäuschen.

30. Dezember
    Silvia ist gestern abgefahren. Andreas sitzt vor dem PC mit Stöpseln in den Ohren. Matthias liest Comics.

31. Dezember
    Wie jedes Jahr treffen wir uns am Silvesterabend an unserem Brunnen Bügl Süt. (Der Name »Trockener Brunnen« muß aus einer Zeit stammen, als es in Sent noch Wasserprobleme gab.) Vor drei Jahren haben uns die Nachbarn hier die Hand gegeben und das Du angeboten. Wir sind eine Brunnengemeinschaft. Wir dürfen im Brunnen Teppiche waschen, und wir sind für seine Reinigung verantwortlich. (Ich habe schon gewaschen,
aber noch nicht geputzt! Ich warte auf das Brunnenbuch, das mir sagt, wann ich mit Reinigen dran bin.) Uorschla hat Glühwein gemacht und Saftpunsch für die Kinder. Wir andern bringen alle etwas Kleines zum Essen mit. Die Kinder haben Schiffchen gebastelt, aus Rinde, aus Holz, mit brennenden Kerzen drauf, die sie aufs Wasser setzen. Das Licht der schwimmenden Schiffchen spiegelt sich im Wasser. In der letzten Nacht des Jahres stehen wir im Schnee um die Brunnenschiffchen herum, trinken Glühwein, essen. Manfred spricht romanisch, ich spreche deutsch. Ich sage Unsinniges zu Uorschla, etwa: damals, als ich Matthias gesucht habe und er saß dann in deiner Küche und hat Marmeladebrot gegessen, da wußte ich, wir können zu euch kommen. Uorschla schüttelt den Kopf. (Das hätte ich jetzt nicht zu sagen brauchen.)
    Die Kölner Freunde holen uns am Brunnen ab. Wir sind zusammen bei Helen und Werner zum Essen eingeladen. Helen muß ihr Auge nicht mehr ununterbrochen schützen. Heute blinzelt es fast schon wie das andere. Wir sitzen um ihren langen neuen Tisch im Flur. Werner hat ihn entworfen. Den Nachtisch später gibt es bei

Weitere Kostenlose Bücher