Alle Farben des Schnees
Weihnachten und während der Skisaison geht das nicht, und im Sommer warten die Wanderer und die Wiesen.
Ich schreibe jeden Tag mindestens ein Gedicht auf vallader. Kleine beglückende Sucht. Ich schicke die Texte per Mail an Esther, wir sprechen darüber. Ich übertrage die Korrekturen in mein Heft. Ich schreibe mit dem doppelfarbigen Schweizer Rot-Blau-Buntstift. Mit der blauen Seite schreibe ich die Texte, mit der roten die Korrekturen. Die Texte kommen jeweils auf die rechte Seite, auf der linken notiere ich mit Bleistift neue Wörter. Ich kann mich an meine Gedichte erinnern und mir so Wörter merken.
Mir gefällt das romanische Wort »Chadafö«, das Küche heißt, aber wörtlich »Haus des Feuers«. Ich möchte mit entsprechenden Räumen spielen: Haus des Wassers, Haus der Luft, Haus der Erde.
Haus der Erde ist klar: »Cha da terra«. Aber was mache ich mit Wasser und Luft, »aua« und »ajer«, die mit Vokal beginnen? Ich frage meinen Sohn. Paß auf, sage ich, Chadafö ist doch die Küche, Haus des Feuers, also. Matthias schaut mich skeptisch an. Er schätzt meine
Romanischkenntnisse überhaupt nicht. Was also, frage ich weiter, wäre das Haus des Wassers? - Gibt es nicht, sagt er. O.k., sage ich, klar, gibt es nicht. Aber wenn ich es jetzt erfinde, dann gibt es das schon. Und wie würde man das dann sagen: »Cha d’aua« oder »Cha da l’aua«? Matthias schaut mich finster an. Und? sage ich und schaue zurück. (Sekundenmachtkampf) - »Cha da l’aua«, sagt er.
Interiurs
Chadafö
Cha da l’aua
Cha da l’ajer
Cha da terra
per la giatta chi baiva lat
per l’algordanza
per la tschuetta alba
per esser föglia e flomma
Mir gefällt, daß das Gedicht kaum zu übersetzen ist. Vor allem die Schlußzeile ist nur auf romanisch möglich. »fö e flomma« heißt, wie im Deutschen, Feuer und Flamme sein, begeistert sein. Aber im Romanischen gibt es eben das Wort »föglia« für Baumblatt und »fögl« für das Blatt Papier. In »föglia e flomma« hört jeder Romane sofort das geläufige »fö e flomma«, aber das grüne Blatt und das Blatt Papier sind auch dabei und damit neben
der Begeisterung, neben dem Brennen das Verbrennen im Haus der Erde. Interlinear also etwa:
Innenräume
Küche/Haus des Feuers
Haus des Wassers
Haus der Luft
Haus der Erde
für die Katze, die Milch trinkt
für die Erinnerung
für die weiße Eule
um begeistert/ Blatt und Flamme zu sein
24. April
Lesung in Basel. Ich hatte Verena Stössinger, gebürtige Luzernerin, bei Manfreds Antrittsvorlesung kennengelernt, nun war sie zu meiner Lesung gekommen. Sie hat Nordistik studiert (und unterrichtet) und ist Autorin von vier Romanen; gerade arbeitet sie an einem Kinderbuch »Reise zu den Kugelinseln«. Sie schickt mir eine Mail:
Jetzt zum isländischen Vulkan. Ich bin nicht so schrecklich fix in der isländischen Sprache, kann sie zwar lesen, aber kaum sprechen (weil die Grammatik so kompliziert ist und mir auch die Übung fehlt); aber:
eyja (oder ey, beide f.) heisst Insel fjall n. (gesprochen: fjatl, mit kurzem a) heisst Berg - wie auch »fell« (gespr. fetl), aber »fell« ist eher ein kleinerer Berg und einer, der alleine steht; z. B. der Snæfell auf Snæfellsnes (-nase) nördlich von Reykjavík, wo Jules Vernes Held durch ein Loch in die Unterwelt fällt) -. Also ist fjall eher ein höherer Berg in/bei einem Massiv, einer Kette. In Zusammensetzungen wird dann häufig ein -a angehängt, ich bin fast sicher, dass das ein Dativ ist, jedenfalls ist »fjalladrög« ein Berg-Zug (›Zug von Bergen‹) und zB. »fjallagrös«, wörtlich: Berg-Gras, Gras vom Berg, ist Isländisch Moos. - Es gibt aber auch Zusammensetzungen ohne -a, zB. fjallfer∂, das heisst Bergtour. jökull schliesslich (gesprochen jökütl und betont auf der ersten Silbe, wie eigentlich alle Wörter im Isländischen, und beide Vokale kurz) heisst Gletscher (m, Nom. Sing.). Eyjafjalla ist der Name des Berges in Südisland, der ›spuckt‹ und »(grösserer) Inselberg« heisst (wobei ich nicht sicher bin, warum es das -a am Schluss braucht, könnte es aber nachfragen), und Eyjafjallajökull ist der Gletscher oben auf diesem Berg, durch den die ausgespuckte Lava durch muss.
Ich mag Verena Stössinger wirklich gerne.
25. April
Lesung in Offenburg. Am Nachmittag kommt mir im langen Hotelgang eine sehr junge Frau entgegen. 16 Jahre vielleicht, Lehrlingsalter. Ihre Haare sind kurz und blond, sie ist leicht pummelig. Sie sieht verstört
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