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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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empfiehlt er auf Grund seiner Meinung neben psychischer Beeinflussung Transport auf höher gelegene Berge und innerliche Darreichung von Stoffen, die ›zusammengepreßte Luft enthalten‹, um von innen den Druck im Körper zu erhöhen, z. B. Salpeter, Pulver, jungen Wein. Anhangsweise spricht er vom Heimweh der Walfische, die in südlichen Gewässern ebenfalls infolge Druckänderungen an diesem Übel erkranken.«

29. April
    Unsere Papiere aus Amerika, die wir brauchen, um von der US-Botschaft in Bern ein Visum zu bekommen, sind unterwegs. Aber sie sind noch nicht angekommen. Der unaussprechliche Vulkan beeinflußt auch uns. Wir haben eine Nummer, über die wir im Internet den Weg der Postsendung verfolgen können:
    19. 4. ab in Rutland, Vermont; dann Manchester, Philadelphia, dort am 20. 4. die Bemerkung: Natural Disaster. In Madrid am 21.4.; in Köln am 23. 4. die Bemerkung: »The address is in a remote area and deliveries are not made daily.«

3. Mai
    Schlögen, Donauschlinge. Für die Fahrradreportage bin ich mit einer jungen Photographin von Passau nach Wien unterwegs. Die Räder, die wir bekommen haben, sind schwer, aber das macht nichts. Es gibt ja keine Steigungen. Heute morgen in Passau habe ich gesehen, wie die Donau in den Inn fließt. Triumph! Der Inn ist der größere Fluß! Du, habe ich gedacht, kommst von uns.
    Am Spitz des Zusammenflusses tunken zwei Schwäne ihre Schnäbel in die Wasser, die sich mischen. Die Photographin sammelt Schwanenbilder. Später photographiert sie auch Schnecken. Und Gänse in einem Kleefeld, die ihre Köpfe wie Blüten aus dem Grün strecken.
Immer wieder nieselt es leicht. Am Nachmittag sagt Manfred am Telephon, daß in Sent 20 cm Neuschnee liegen.
    Abends auf der Hotelterrasse über der Donau sagt die Photographin, die in Hamburg und Zürich lebt: hier ist es so still. Aber es ist nicht still. Man hört die Straße, für mich ist es eher laut.

4. Mai
    Linz. In unserem Hotel ist das Casino. Ich war noch nie in einem Casino; die Photographin, die fast meine Tochter sein könnte, schon. Floraler Teppichboden, viel Gold im Design. Alte, grüne Roulette-Tische. Erst setzen wir nur auf Rot oder Schwarz, dann probiere ich Reihen aus. Es klappt, wir spielen zusammen, setzen auf Reihen. Sie setzt manchmal auf ein Kreuz, das vier Zahlen abdeckt.Wenn eine gewinnt, haben beide gewonnen. Wir gewinnen mehr, als wir verlieren. Wir trinken Grünen Veltliner. Man gewinnt immer, das ist nicht das Problem. Man muß nur aufhören können. Die Photographin photographiert in die Deckenspiegel, unter denen wir stehen. Wir werden beobachtet; sie darf keine Casinobesucher photographieren.

5. Mai
    Die Blüten in den Marillenplantagen der Wachau sind so naß, als seien sie frisch geschlüpft.
     
    In Spitz erzählt der Wirt: Es gibt Tage, da hört man kein deutsches oder österreichisches Wort. Die Strecke Passau-Wien ist die beliebteste Radtour Europas. Italiener, Dänen, Holländer kommen. Im August vor allem Italiener, sagt der Wirt, das Wetter hier ist ihnen dann angenehm. Alle fahren in Fließrichtung der Donau. Der Wind komme zu 90% mit dem Fluß. Wenn das Wetter gut ist, seien Tausende unterwegs. Im Hochsommer aber würden die Leute leicht in Stress geraten. Da gäbe es zu viel positive Sonnenenergie, sage die Physiotherapeutin seiner Frau.

6. Mai
    Wien. Speisekarte: »Steirischer Backhendlsalat: knusprige Hühnerbruststücke in Kürbiskernpanade auf Kartoffel-Gurke-Vogerlsalat« und »Kross gebratenes Zanderfilet auf Krautfleckerln mit süßem Senfschaum«.
    Wir sind wild entschlossen, alles zu essen, schaffen aber den Marillen-Topfen-Mohnstrudel-Nachtisch dann doch nicht.

7. Mai
    Ankommen in Scuol. Beim Warten auf den Bus nach Sent das Gefühl, alles blendet, obwohl die Sonne nicht scheint.
    Freunde aus Tübingen sind da, auch unsere alte Freundin Ute aus Stuttgart. Manchmal, wenn Ute den Tisch deckt, Brot schneidet, denke ich: Sie hat Originalmanuskripte von Hölderlin angefaßt, nimmt täglich Gedichte, Briefe von Stefan George in die Hand.

8. Mai
    Ich möchte ein Gedicht mit »pel« und »pled« schreiben, mit »Haut« und »Wort«.

13. Mai
    Prager Buchmesse. Auf dem Wenzelsplatz Reklameschaufenster für Thaimassagen mit live agierenden blütenhaften Masseurinnen. Das »New Yorker« Modelabel steigt in den Himmel. Ich finde die Jugendstilfassade des Hotels Europa nicht. Ich wohne woanders. Aber ich war in diesem Hotel einmal sehr unglücklich; vielleicht wollte ich nur vor der

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