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Alle Farben des Schnees

Titel: Alle Farben des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Overath
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suchte nach einem zweiten Buch, das für eine Radiosendung zu Bardolas »Schlemm« passen würde. Beim Umsteigen nach Chur fiel ihr in einer Zürcher Bahnhofsbuchhandlung eine
Neuerscheinung auf, ein Buch über den Tod einer Mutter. Sie kaufte meinen ersten Roman »Nahe Tage«.
    Als wir, es war vor unserem Umzug, wieder einmal in Sent waren, sprach mich beim Hundegang eine Frau an. Sie arbeite beim Radio Rumantsch, ob ich denn wisse, daß mein Buch dort besprochen worden sei. Ich fragte, ob sie die Redakteurin bitten könne, mir eine CD zu schicken. Die CD kam nach Tübingen. Ich bedankte mich. Die Redakteurin Esther Krättli hatte nicht gewußt, daß wir in das Dorf umziehen wollten, in dem der Roman von Bardola angesiedelt war.
     
    Nach unserem Umzug lud Esther Krättli Manfred, Matthias und mich zu einem Doppelfest nach Thusis ein: die Taufe ihrer zweiten Tochter Mia und ihr vierzigster Geburtstag. Da lernt ihr gleich ein paar Romanen kennen, sagte sie. Es war Ende August. Wir lebten nun schon vier Wochen in Sent. Vor einer kleinen Taufkirche sahen wir uns zum ersten Mal.

24. September
    Neben Idas Flügel steht ein Luftbefeuchtungsgerät. Damit er die Stimmung behält, sagt sie. Auf ihrem Bildschirmschoner schwimmen Fische. Von den Wänden schauen die gemalten Ahnen herunter, schwarzgekleidete ernste Persönlichkeiten mit weißen Kragen, die Frauen Wickelkinder im steifen Arm. Bündner Buffets,
italienische Truhen, Bücher, Noten. Ida sagt, ich sei gut gewesen; das stimmt nicht. Aber wir haben beide begonnen, meine Unzufriedenheit nicht mehr ernst zu nehmen. Wir zitieren uns. Es gibt einen Walzer, den wir schön zusammen spielen. Sie schenkt mir »Rimas«, Gedichte ihres Urgroßvaters Chasper Po, der, 1856 in Sent geboren, schon mit 13 Jahren nach Italien zog. Er starb 1936 in La Spezia. Sie sagt, einmal zeige ich dir das alte Kochbuch meiner Tante, da sind Rezepte drin, und auf den Rückseiten oder da, wo ein Zwischenraum ist, steht immer wieder ein Gedicht.

25. September
    Seit ich in Sent wohne, schreibe ich mehr. Die Berge sind ein Gegengewicht zu den Zeilen. Matthias, der sich in Tübingen immer genau verabreden mußte, trifft seine Freunde jetzt spontan auf dem Fußballplatz, wenige Minuten vom Haus entfernt. Manchmal sehe ich meinen Sohn nur zu den Mahlzeiten. Er orientiert sich an den Glocken: der Schulglocke in der Früh und am Nachmittag. Und am Abend ruft die Nachtglocke die Kinder nach Hause. Im Winter um 20 Uhr; im Sommer um 20.30 Uhr.
    Matthias verwildert, sage ich zu Manfred. Manfred sieht nicht einmal von seinem Buch auf.
    Ich reise viel.
    Gestern nach Wien. Einladung eines mir nicht bekannten
privaten Kultursenders. Ich putze mir die Zähne in der Flughafentoilette. Zur Maske, sagt eine junge Frau. Ich laufe einem jungen, rotlockigen Mann hinterher, der mich zu einem Auto führt. Es parkt auf dem Flughafengelände auf einer Brücke. Er öffnet die Fahrertür des Wagens, ein Porsche aus den siebziger Jahren. Die ledernen Sessel sind aufgerissen. Ich möge mich hinsetzen. Ich rutsche auf den Fahrersitz im 90-Grad-Winkel. Meine Füße stehen auf dem Asphalt. Aus dem Kofferraum holt der junge Mann einen Schminkkoffer. Bitte nicht, sage ich. Klar, sagt er, nur ein bißchen Puder. Dann schaut er mich an und sagt: Darf ich die Haare um den Mund ein wenig entfernen. Gerne, sage ich. Ich schiebe mein Gesicht leicht nach vorne in die Sonne. Er nimmt eine Pinzette und zupft. Ein Wind kommt auf. Auf einmal bin ich fröhlich. Ich sage, ich habe Haargel dabei. Wenn Sie das mögen, sagt er. Er pudert mein Gesicht. Ich nehme ein bißchen Gel auf die Fingerspitzen und fahre durch meine Haare. Wir lachen. Ich bin sicher, er ist homosexuell.
    Dreh am Rande des Rollfelds. Ein Sicherheitswagen neben uns. Auf einmal ein relativ großes Team. Ein Kronleuchter wird an einer Stange hochgehoben und über einen kleinen Tisch gehalten. Rechts und links Regiestühle für den Moderator und für mich. Der junge Mann mit den roten Locken nestelt mir am Rücken das Mikrophonkabel unter das T-Shirt, dann legt er mir sehr sorgfältig meinen Pullover über die Schultern. Es ist windig und sonnig. Sie drehen mit zwei Kameras,
eine läuft über Schienen. Später sagen sie, sie drehen in Österreich und in der Schweiz Kultursendungen an besonderen Orten. Da möchte ich ihnen Sent zeigen. Ich ziehe mein Notebook aus der Tasche. Sie sehen die Kinder, die auf dem neuen Fußballplatz kicken, die Kette der Schneeberge, den sehr grünen

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