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Alle jagen John Mulligan

Alle jagen John Mulligan

Titel: Alle jagen John Mulligan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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in die Höhe fuhr.
    »Ist es Zeit?« rief dieser.
    »Faß ihn«, lautete die einzige Antwort, und »Verrat!« schrie auch schon im nächsten Moment der erschrockene Aufseher, »Hilfe, Hilfe!« Und wohl hatte er Grund dazu, denn vier stärkere Arme gab es nicht in den Kolonien, wie die waren, die ihn jetzt gefaßt hatten. Rotkopf packte ihn um den Leib, John um die Knie, und während sie, nach früherer Unterredung, den leichten Burschen als Schutz gegen etwa ihnen nachgeschickte Kugeln auf ihren Nacken hoben, sprangen sie dabei in wilden Sätzen den Hang hinab, direkt auf das nächste Dickicht zu.
    »Hilfe, Hilfe!« schrie der Aufseher, aber die Soldaten durften ihren Posten nicht verlassen, weil sie ja nie wissen konnten, ob das nicht vielleicht einen Plan der Gefangenen unterstützte, eine gemeinschaftliche Flucht zu versuchen. Nur ihre Gewehre spannten sie und hoben sie nach alter Gewohnheit in den Anschlag - aber schießen durften sie nicht, wenigstens nicht nach diesen Flüchtigen. Die Kugeln mußten ja ihren eigenen Vorgesetzten treffen.
    »Hilfe - Hilfe!« tönte dessen Ruf schon tief von unten herauf, und seine Rechte hatte sich indes vergebens bemüht, in eine seiner Brusttaschen zu gelangen und die dort steckenden Pistolen herauszuziehen. Rotkopf aber hinderte ihn daran; wie in einem Schraubstock schnürte er ihm die Arme zusammen, und als ihm die Büsche jetzt noch ohnedies ins Gesicht schlugen, war er nicht mehr imstande, sich zur Wehr zu setzen.
    Im nächsten Moment hatte ihn aber schon der niederhängende Ast eines alten Gumbaumes gefaßt und riß ihn gewaltsam aus den Armen der beiden Entflohenen, während ihm der Sturz einen lauten Schrei auspreßte.
    »Hier mag er bleiben«, sagte der Rotkopf lachend, »denn durch das Dickicht können wir ihn doch nicht weiter schleppen, aber seine Pistolen wollen wir uns noch ausbitten.«
    »Und das Pulverhorn mit den Kugeln nicht vergessen«, rief John.
    »Nur rasch, denn die Teufel sind uns schon auf den Fersen.«
    »In dem Dickicht vergebens«, sagte John lachend. »Her mit den Waffen, Kanaille.«
    »Gnade, Gnade!« flehte der Beamte auf den Knien und in Todesangst.
    »Das ist die Gnade, die du verdienst«, rief Rotkopf, und in voller Kraft und Wut, mit der geballten Faust zum Stoß ausholend, warf er den Unglücklichen in das dürre Laub zurück. Im Nu hatten sie ihm dabei den Rock ausgezogen, die Uhr aus der Tasche gerissen und flohen nun, als sie die Verfolger schon von oben herunter durch die Sträucher brechen hörten, gerade nach unten in den dicksten Busch hinein.
    Wohl suchte eine rasch hinzugezogene Hilfstruppe noch an diesem Abend und an den nächsten Tagen den Wald nach allen Richtungen hin ab. Große Belohnungen wurden dabei von der Regierung ausgesetzt, und Polizeisoldaten wie Militär waren monatelang beschäftigt, diese frechen Flüchtlinge wieder einzubringen - galt es ja doch auch, an ihnen ein Beispiel zu statuieren -, doch vergebens. Gentleman John wie Rotkopf waren und blieben verschwunden und riefen sich nur dann erst wieder in die Erinnerung des Publikums zurück, als ein paar hintereinander verübte freche und kühne Raubüberfälle ihre Namen von neuem auf die Lippen der Buschbewohner und Reisenden brachten.

3. Kapitel
    Die Poststraße zwischen der Hauptstadt der jetzigen Kolonie Viktoria, Melbourne, und der von Süd-Australien, Adelaide, war damals noch gar nicht so lange eröffnet, und einmal wöchentlich fuhr in jener ersten Zeit ein zweirädriger Karren (der eine Anzahl von Passagieren tragen konnte), mit den Postbeuteln betraut, die lange, öde, durch den dichten Busch nur notdürftig ausgeschlagene Bahn. Die Fahrt selbst war eine Marter für den Reisenden, und auf Bequemlichkeiten unterwegs durfte er ebensowenig rechnen. Nichtsdestoweniger wurde diese »Royal Mail« doch stark benutzt, da sie die einzige zu einer bestimmten Zeit abgehende und eintreffende Verbindung zwischen den schon recht bedeutenden Städten des australischen Kontinents bildete. Dampfschiffahrt war nämlich noch nicht eingerichtet, und die Passage auf einem gelegentlich abgehenden Segelschiff war viel zu ungewiß und langweilig, als daß man sich ihrer zur Personenbeförderung gern bedient hätte.
    Wie aber die Straße rauh und die Postkutsche nur ein höchst primitives Fuhrwerk war, so diente außerdem die Unsicherheit der Gegend dazu, das »Romantische« einer solchen Fahrt zu erhöhen. Gar nicht etwa so selten kam es vor, daß die Reisenden von Sträflingen

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