Alle lieben Merry
dröhnte die Musik so laut, dass die Fensterscheiben akut gefährdet waren zu zerspringen.
Er klopfte noch einmal. Dann drehte er den Türknopf und steckte seinen Kopf ins Haus. “Merry?”
Sie brauchte ihn nicht. Er wusste Bescheid darüber, was sie sich eingehandelt hatte. Solche Partys waren eine Qual für die Eltern – aber hauptsächlich, weil sie die ganze Nacht Lärm bedeuteten und man das entsetzliche Chaos nachher aufräumen musste. Um die Zehn- oder Elfjährigen musste man sich aber – zumindest in dieser Wohngegend – kaum Sorgen wegen Alkohol, Drogen oder Gewaltexzessen machen. Aber er hatte schon verstanden. Sie hatte die Panik, weil Jungs und Mädchen im selben Zimmer schlafen sollten.
“Merry?” Er ging durch die Küche – obwohl “waten” wahrscheinlich die passendere Bezeichnung gewesen wäre. Ihm bot sich ein Bild der Verwüstung. Dosen und Pappteller quollen aus zwei Müllsäcken. Der Boden war übersät mit Popcorn. Die Teller mit den Brownies sahen aus, als hätten sich Wölfe darüber hergemacht.
“Mer…?”
Er kostete im Vorübergehen einen Keks und blieb wie angewurzelt stehen. Wow. Es mochte leckereres Essen geben als Brownies, aber im Moment fiel ihm keines ein. Sie schmeckten göttlich. ‘Auf der Zunge zergehen’ traf es nicht annähernd.
Er stibitzte sich noch einen Keks vom Küchentisch und konnte nun natürlich nur mehr undeutlich artikulieren. “Mry?”
Eine Gestalt kam so eilig auf ihn zugestürzt, dass er sich beinahe verschluckt und die Brownies ausgespuckt hätte – was ein Verbrechen gewesen wäre. Andererseits sah diese Gestalt ebenfalls kriminell gut aus.
“Oh Jack”, rief Merry, “ich bin so unglaublich froh, dass du da bist!”
Meine Güte, nicht einmal sein Hund hatte sich seinerzeit so gefreut, ihn zu sehen. Überhaupt nie jemand! Abgesehen davon begann sein verdammtes Herz allein bei ihrem Anblick heftig zu klopfen. Diese großen Augen, die so verzweifelt dreinsahen …
Sie trug ein altes Sweatshirt, dessen Ausschnitt so ausgeleiert war, dass eine ihrer wundervollen Schultern hervorguckte. Ihr offenes Haar schimmerte. Sie gehörte ins Bett. Sofort. In sein Bett. Mit ihm.
Aber dann erinnerte er sich daran, dass er nicht deswegen hier war. “Okay, sag mir, was passiert ist.”
“Diese vielen Jungs … Ich habe ihre Eltern angerufen. Alle. Und ich kann nicht glauben, dass es ihnen egal ist, wenn ihre Kinder bei einem Mädchen übernachten …”
“Demnach ist es für sie Ordnung.”
“Ja.”
“Aber nicht für dich.”
“Ganz bestimmt nicht!”
“Dann schick sie einfach nach Hause, Mer.”
Sie zog ihm seine Jacke aus. Er hätte es als ziemlich draufgängerischen Versuch, ihn zu verführen, interpretieren können – weiß Gott, sein bestes Stück reagierte gerade heftig darauf –, aber er vermutete, dass es nur der Versuch war, ihn vom Gehen abzuhalten.
“Du verstehst es nicht. Das kann ich Charlene nicht antun. Außerdem ist es meine Schuld, dass die Jungs da sind.”
“Warum deine Schuld?”
“Weil ich Charlie nicht gefragt habe. Aber da ich das nicht getan und ihren Einladungen zugestimmt habe, kann ich sie jetzt nicht vor ihren Freunden blamieren. Das wäre komplett unfair. Du lieber Himmel, Jack, es ist das erste Mal, seit ihr Dad gestorben ist, dass sie etwas machen wollte, das Spaß macht. Sie ist sonst meistens so ernst wie eine Heilige.”
“Es ist anzunehmen, dass die Jungs okay sind, wenn es ihre Freunde sind. Außerdem ist sie äußerlich ja noch ein richtiges Kind … Sie sind wahrscheinlich alle ein bisschen zu jung, als dass man sich jetzt schon Sorgen machen müsste, sie könnten Sexorgien feiern.”
“Ich habe mit elf Strip-Poker gespielt.”
Das hatte man also davon, wenn man sich über Charlene und ihre Freunde Gedanken machte … “Ach, hast du das?”
“Und im selben Jahr habe ich Mrs. Simpsons Hausbar geplündert. Und mich in Bobby Smiths Baumhaus betrunken. Wir hätten uns beinahe den Hals gebrochen, weil wir runtergefallen sind. Wir waren zehn damals.”
“Tatsächlich?”
“Und meine Freundinnen haben sich damals hineingesteigert, dass sie vielleicht lesbisch sind – wie hätten wir wissen sollen, dass es nicht so ist? Also haben wir eine Übernachtungsparty veranstaltet und Joey Meyers eingeladen, der zwei Jahre älter als wir und der Schwarm aller Mädchen in der achten Klasse war. Wir haben ihn gebeten, dass er uns alle küsst, damit er sich ein Urteil bilden kann.”
“Wow. Wo warst du
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