Alle lieben Merry
scheint so …”
“Wütend?”
Jacey nickte wieder. “Aber sie zeigt es nicht.”
“Sie ist immer noch wütend, dass ihr Dad gestorben ist.”
“So sehe ich das auch.”
Auf der Fahrt nach Hause ging Merry das Gespräch nicht aus dem Kopf. Okay, okay, erst einmal tief durchatmen, dachte sie. Sie hatte im Grunde ja nichts erfahren, was sie nicht schon gewusst hätte. Charlene hatte immer noch Angst, dass sie sie im Stich lassen würde, und war immer noch wütend, weil ihr Dad gestorben war – auch eine Art, von jemandem im Stich gelassen zu werden.
Beides waren Probleme, die man nicht über Nacht in den Griff bekommen konnte. Ebenso wenig war der Tod eines Menschen etwas, das man schnell verarbeitete, egal in welchem Alter. Aber es tat Merry weh, dass es ihr trotz aller Bemühungen immer noch nicht gelungen war, das Einzige in ihrem Leben hinzukriegen, das sie unbedingt richtig machen musste. Und das war, für Charlene da zu sein.
Als sie wieder zu Hause war und ihre Jacke ausgezogen hatte, machte sie sich auf die Suche nach Charlie. Sie zu finden war allerdings nie sehr schwierig. Wann immer die Kleine ein paar Stunden frei hatte, saß sie in der Garage über ölverschmierten Teilen oder vor einem Computerspiel.
Diesmal war es der Computer. “Hi”, sagte Merry von der Schwelle zu Charlies Zimmer aus. “Deine Lehrer sind anscheinend der Meinung, dass du ziemlich clever bist. Tja, ich glaube, manchmal schaffst du es, die Leute ganz schön an der Nase herumzuführen, was?”
Charlie musste grinsen – was äußerst selten vorkam. “Ich habe dir doch gesagt, dass der Sprechtag langweilig wird.”
“Es war nicht langweilig. Es hat mir nichts ausgemacht, dort zu sitzen und von allen zu hören, wie intelligent du bist. Apropos … wenn du schon so wahnsinnig intelligent bist, glaubst du nicht, du könntest mir eines dieser Spiele beibringen?”
Das Lächeln verschwand. “Komm schon, du magst so etwas doch gar nicht. Du musst nicht so tun, als ob.”
“Ich tue nicht so. Ich habe nur nie gelernt, wie man so etwas spielt. Du könntest es mir doch zeigen, oder? Wie zum Beispiel eines dieser Spiele, bei denen man Welten erschaffen muss und die du so magst?”
Charlie seufzte, als könnte kein Kind auf der ganzen Welt die Geduld aufbringen, eine dermaßen absonderliche Bitte eines Erwachsenen zu ertragen. “Wir brauchen zwei Computer. Ich könnte meinen Laptop holen, und du kannst diesen Computer nehmen.”
Für Merry war das ganze Vorhaben ähnlich angenehm, wie Rosenkohl essen zu müssen – aber weiß Gott, sie bemühte sich. Sie kniete sich in die Materie hinein, entschlossen, vor dem Monitor so lange sitzen zu bleiben wie nötig. Aber was auch immer Charlene anstellte, um Thals Königreich nach Dunphi überzusiedeln – oder worum auch immer es ging –, es entzog sich Merrys Verständnis.
“Ich glaube, jetzt hast du’s endlich kapiert”, sagte Charlene.
Merry verschlug es beinahe den Atem. Das war ein Riesenkompliment. Allerdings saßen sie auch schon seit drei Uhr hier, und nun war es sechs. “Kriegst du nicht langsam Hunger? Wir könnten zu Abend essen.”
“Ja … wenn wir mit dem Spiel fertig sind, okay?”
Merry verkniff sich zu sagen: Was ist, wenn das nie der Fall ist? Was, wenn ich ewig hier spielen muss und es überhaupt nie aufhört? Doch dann, wurde der Bildschirm aus dem Nichts heraus plötzlich schwarz.
“Was hast du gemacht?”, fragte Charlie sofort.
“Gar nichts. Zumindest ist es mir nicht bewusst, dass ich etwas getan hätte. Dein Monitor ist doch auch schwarz geworden, oder?”
Charlie verdrehte die Augen. “Du
musst
irgendetwas gemacht haben.”
“Na ja, vielleicht. Aber ich wüsste nicht, was. Sag mir einfach, was ich tun soll …”, erwiderte Merry, aber Charlene kreischte plötzlich auf.
“Hör auf! Drück auf keine Taste mehr! Mach gar nichts!”
“Okay, okay. Aber Charlie, ich kann doch nicht einen ganzen Computer kaputt gemacht haben, nur weil ich einen falschen Knopf gedrückt habe, oder?”
“Rühr einfach nichts mehr an. Nicht deinen Computer. Auch meinen nicht. Du hast gerade …” Charlie hob drohend den Zeigefinger. “Geh. In die Küche. Los, geh.”
Na gut. Der erneute Versuch, eine Beziehung aufzubauen, hatte nicht so recht geklappt. Aber Merry nahm an, dass man die Angelegenheit – wie jede andere Katastrophe – bewältigen konnte. Man durfte sich nur nicht geschlagen geben, musste sich weiter bemühen, musste seinen Humor
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