Alle lieben Merry
aus?”
Er kniff die Augen zusammen. “Nun, gut, glaube ich.”
Er wusste es in Wahrheit also nicht. Als Nächstes kam die Turnlehrerin, Mrs. Butterfield, die während der Unterhaltung einen Basketball gegen die Wand warf. “Charlene ist nicht richtig sportlich, aber sie hat keine Angst, etwas auszuprobieren. Ein braves Kind. Ich weiß, sie hat mehr Grips als Muskeln, aber sie strengt sich immer an.”
“Kommen die anderen Mädchen mit ihr klar?”, fragte Merry. “Ist Ihnen aufgefallen, mit wem sie oft zusammen ist?”
“Tja, sie gehört keiner Clique an und hält sich immer etwas abseits von Gruppen, aber ich habe nie bemerkt, dass sie unglücklich wäre.”
Merry überlegte, ob die Turnlehrerin vielleicht ihre Kindheit auf einem anderen Planeten verbracht hatte, weil das ganz sicher nicht die Wirklichkeit war, an die sie selbst sich erinnerte. Elf Jahre alt – und man
musste
irgendwo dazugehören oder eine allerbeste Freundin haben. Wenn nicht, tat es weh.
Die letzte Lehrerin schien endlich jemand zu sein, der Charlene so gut kannte, wie Merry es gehofft hatte. Ihr Fach, Englisch, war nicht gerade Charlies Stärke. Doch die Lehrerin, Jacey Matthews, war Merry auf den ersten Blick sympathisch. Jacey war blond, jung und trug Kleider von Filene’s Basement, wo man tolle, aber preiswerte Designerklamotten kaufen konnte. Das Erste, was sie sagte, war: “Um ehrlich zu sein … ich mache mir ihretwegen Sorgen.”
“Erzählen Sie bitte.”
“Erstens, ihr Haar. Dieser ganze Männerlook. Mit elf, zwölf haben sie alle diese Identitätskrise wegen ihrer Geschlechterrolle. Sie können sich nicht vorstellen, wie anstrengend das ist. Und manchmal auch witzig. Die Jungs tun großspurig und geben an, und die Mädchen flirten. Von einem Tag auf den anderen kriegen die Mädchen Busen und die Jungs Erektionen. Und alle brechen bei jeder Kleinigkeit in Tränen aus.”
“Ziemlich anstrengend, diese Altersgruppe zu unterrichten, oder?”, sagte Merry.
“Gerade deswegen mag ich sie so. Sie sind total unmöglich. Aber Tatsache ist, dass sie Charlie wegen ihres Aussehens nicht in Ruhe lassen. Sie lieben es, sie ‘Schwuchtel’, ‘Homo’ oder ‘Lesbe’ zu nennen. Es ist nicht so, dass sie böse Kinder wären. Es liegt einfach am Alter, dass sie sich cool und toll vorkommen, wenn sie jemanden so bezeichnen. Aber es ist nicht nur gemein. Es hat auch viel mit Identitätsfindung zu tun. Und Charlene … Himmel, diese Haare!”
“Ich weiß. Es ist wegen ihres Dads.”
“Ja, das habe ich mir gedacht. Sie spricht oft über ihn. Wenn sie einen Aufsatz schreiben muss, schreibt sie immer über ihn. Sie flippt aus, wenn die Kinder sie ‘Charlene’ statt ‘Charlie’ nennen. Um nichts in der Welt möchte ich noch einmal so jung sein.” Jacey sah Merry mitfühlend an.
“Ich bemühe mich, für sie da zu sein, und ich möchte, dass sie diese schwierige Zeit auf ihre Weise bewältigt. Aber ich gebe zu, dass es furchtbar schwer ist, sie dazu zu bringen, mit mir zu reden …”
“Wie bitte? Charlie hält Sie für wunderbar.”
Merry starrte Jacey an. “Das kann nicht sein.”
“Sie sagt, dass Sie zwar nur für kurze Zeit hier sind, aber …”
“Was? Das stimmt ebenfalls nicht …”
“Ich erzähle Ihnen nur, was Charlene sagt. Sie ist der Meinung, dass Sie ziemlich cool sind. Sie lassen sie Dinge tun, die andere Mütter ihren Töchtern niemals erlauben würden. Wie zum Beispiel diese Party, bei der alle über Nacht bleiben durften. Wow. Das hat ihr bei den anderen Kindern Ansehen für die nächsten sechs Wochen beschert. Aber …”
“Aber?”
Jacey erhob sich, ging zum Schreibtisch und kam mit zwei Seiten eines Aufsatzes zurück, den Charlie geschrieben hatte. Merry las ihn sich sehr gründlich durch. Dann sah sie auf.
“Das Thema war, eine kurze Geschichte über etwas zu schreiben, was man nie gemacht hat, sich aber vorstellen könnte zu tun”, erklärte Jacey.
“Sie hat geschrieben, dass sie auf einem Fantasieplaneten ist und dort gegen alle kämpfen muss”, sagte Merry beunruhigt.
Jacey nickte. “Englisch ist nicht gerade ihr Lieblingsfach. Sie hasst Schreiben. Sie mag Mathe, Computer, Naturwissenschaft. Aber der Aufsatz hat mich beunruhigt. Am Inhalt selbst ist nichts Auffälliges, aber sie erwähnt mehrmals, dass Sie nicht lange bleiben werden. Und dass sie allein leben könnte, wenn es sein müsste. Und dass sie stark ist – so wie ihr Dad. Und dann ist mir noch etwas aufgefallen. Sie
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