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habe?«, fragte er.
»Hab ich eine Wahl?«
Er lachte. »Nein.«
»Dann los.« Ich aß das Eis auf, während Jan zu reden begann.
»Nachdem du uns in der Bar allein gelassen hast, bestellten wir noch eine Runde Whiskey. Eigentlich haben wir uns ganz gut verstanden.« Er trank einen Schluck Tee. »Wir haben über New York und Europa geredet. Er hat sein Französisch an mir erprobt.« Ich hatte nicht gewusst, dass Kyle überhaupt Französisch konnte. »Es war ziemlich schlecht«, fuhr Jan lächelnd fort. »Kyle wollte noch weitertrinken.« Was mich nicht überraschte. »Aber ich musste los. Ich wollte noch bei Eddie Vorbeigehen, um mich von ihm zu verabschieden. Und ich wollte zu dir.« Jan nahm den letzten Löffel Eis. »Kyle fragte mich, ob ich schon mal von Christian Dope gekauft hätte. Hatte ich natürlich nicht. Kyle meinte, dass er ihn anrufen wollte - Christian würde ihm noch was schulden.«
»Schulden? Was?«
»Drogen, nehme ich an.« Er zuckte die Achseln. »Es ist also durchaus möglich, dass Kyle an diesem Abend noch zu Christian gegangen ist.«
»Möglich, ja«, sagte ich, während ich in meinen heißen Tee blies. »Aber das bedeutet noch nicht, dass er ihn umgebracht hat.«
»Er hat noch etwas gesagt, was mir nicht so recht aus dem Kopf will«, sagte Jan.
»Noch was?«
»Ja. Kyle erzählte mir, dass er Christian Geld für eine Lieferung gegeben hat, die er nie bekommen hat ... und dass er Christian ein bisschen einschüchtern wollte.«
»Ihm Druck machen, meinst du.«
»Genau.«
»Du glaubst also«, folgerte ich nach einem Moment, »dass Kyle Christians Kopf gegen die Wand geschlagen hat, weil er ihm noch was schuldig war?«
»Irgendjemand hat ihn gestoßen«, sagte Jan. »Einer, der ziemlich stark war.«
Kyle war stark .. .»Aber Kyle würde niemals jemanden umbringen.«
»Vielleicht hat er das auch nicht gewollt«, erwiderte Jan.
Ich hörte mich selbst wiederholen: Vielleicht hat er das auch nicht ge -wollt. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass Kyle ein Mörder war. Dass er jemanden aus Versehen getötet hatte, konnte allerdings schon eher sein.
»Kyle sagte zu mir, dass er Christian auf die Sprünge helfen würde, wenn er ihm nicht geben würde, was er haben wollte.«
»Das hat er dir gesagt?«, fragte ich.
»In genau diesem Wortlaut.«
Mir war fast so schlecht wie damals, als ich Christian in seinem Schlafzimmer gefunden hatte. Ich fror, obwohl ich am ganzen Körper schwitzte. »Das glaube ich nicht«, flüsterte ich. Trotzdem passte alles zusammen - alles. Erst das, was Jacob gesagt hatte, dann Kyles eigene Aussage mir gegenüber - er hatte ja zugegeben, dass er von Christian gekauft hatte - und nun das, was Jan mir erzählt hatte ... brauchte man eigentlich noch mehr Beweise?
Der Kellner brachte uns die Rechnung. Immer noch warteten eine Menge Leute auf einen Tisch. Wahrscheinlich wollte man uns schnell loswerden.
»Was willst du jetzt machen?«, fragte ich zögernd.
»Ich rufe Jacob an, sobald wir wieder im Hotel sind«, antwortete Jan.
Und dann würde es vorbei sein. Sie würden Kyle verhaften.
Eine ganze Weile schwiegen wir. Im Geist ging ich unser Gespräch noch einmal durch; Jan streichelte abwesend meine Hand, während er auf sein Wechselgeld wartete. Ich versuchte angestrengt, Ausreden für Kyle zu erfinden - Gründe dafür, dass er es nicht gewesen sein konnte, der Christian mit dem Schädel gegen die Wand geballert hatte. Ich war eigentlich überzeugt davon, dass Kyle niemals planvoll jemanden angreifen würde. Doch Verbrechen im Affekt passierten ständig - sie blieben trotzdem Verbrechen. Ich wusste, dass Kyle kein Typ war, der sich in jeder Situation unter Kontrolle hatte.
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass er es gewesen sein soll«, sagte ich. Aber ich hörte mich an wie jemand, der längst überzeugt war.
Ich hätte gedacht, dass ich in einem Hotelbett mit Samtdecken und neben Jan besonders gut schlafen würde, doch dem war nicht so. Vielleicht lag es an der Sache mit Kyle, vielleicht war ich aufgeregt, dass ich mit Jan nach Europa gehen würde. Was immer der Grund gewesen sein mochte
- ich schreckte plötzlich auf. Ich hatte das Gefühl, ich müsste ersticken. Jan saß am Schreibtisch. Im Halbdunkeln konnte ich zuerst nicht genau erkennen, was er tat. Er telefonierte leise auf Französisch, aber ich vernahm nur Bruchstücke und konnte nichts verstehen. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Mit wem sprach er? Ich versuchte, meine
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