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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fay Greene
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die mit einer Jarmulke auf dem Kopf hebräische Gebete sprachen und aus voller Kehle englische Lieder sangen.
    Diejenigen, die äthiopisch-orthodox aufgewachsen waren, blieben orthodox; und diejenigen, die muslimisch aufgewachsen waren, blieben muslimisch; aber diejenigen, die ohne Religion bei Hodes gelandet waren, hatten den jüdischen Glauben ihres Vaters angenommen.
    Dejene war mit seinen vierzehn Jahren ein amerikanischer Junge mit einer Vorliebe für Hiphop und daran gewöhnt, nach New York, Connecticut und Kalifornien zu fliegen. Sein amerikanisches Englisch war perfekt; die Kopfhörer und sein Outfit, bestehend aus weiten Jeans, einer übergroßen Jacke und offenen Turnschuhen, waren perfekt. Aber er machte seinen Adoptivvater glücklich damit, dass er über dem Sabbatwein das traditionelle hebräische Kiddusch sprach.
    Dauergast im Haus der Familie Hodes war ein äthiopisch-orthodoxer Priester aus den Simien-Bergen. Hodes hatte den Mann mit einem großen Tumor am Ellbogen auf einer Pritsche in einem Armenspital entdeckt. Der graubärtige, dunkelhäutige Priester, Kes (Vater) Mulat, sah aus wie sechzig, war aber erst dreiundvierzig Jahre alt.
    »Darf ich mir das mal ansehen?«, hatte Hodes auf Amharisch gefragt. Er hatte mit einem Arzt, der ehrenamtlich im Mutter-Teresa-Krankenhaus arbeitete, Kontakt aufgenommen, und der Chirurg hatte den Tumor entfernt und den Arm unterhalb des Ellbogens amputiert. Hodes nahm den schmalgesichtigen Priester mit zu sich nach Hause, damit er sich erholen konnte, und besorgte ihm eine Prothese. Als Kes Mulat wieder zu Kräften gekommen war, gab Hodes ihm das Geld für die Busfahrkarte und die Reise, fuhr ihn zum Busbahnhof und setzte ihn in den Bus, der ihn nach Hause brachte. Dort wurde er freudig überrascht empfangen; die Leute hatten gedacht, ihr Priester wäre in Addis Abeba gestorben. Danach war Kes Mulat in das Haus von Hodes zurückgekehrt und hatte sich auf einer Liege auf der Veranda häuslich eingerichtet, während er seine medizinische Behandlung fortsetzte.
    Der melancholische, groß gewachsene, hagere Priester leistete der Familie und ihren Gästen an diesem Freitagabend beim Essen Gesellschaft. Er nickte zustimmend, als die Kerzen angezündet und die hebräischen Gebete gesprochen wurden. So gut es ging, hielt er sich mit den anderen an den Händen und summte das Begrüßungslied »Shalom Aleichem« und den amerikanischen Folksong »If I Had a Hammer« mit, den Hodes als Teil des Familiengottesdienstes eingeführt hatte.
    Ethiopian Airlines bot der wachsenden Zahl von israelischen Urlaubern, Rucksacktouristen und Geschäftsleuten Direktflüge von Tel Aviv aus an. Jedes Jahr vor dem Pessachfest im Frühling schickte Hodes zwei seiner Söhne zum Flughafen, um die Neuankömmlinge aus Israel zu begrüßen. Die Jungen postierten sich vor der Gepäckausgabe und hielten ein Schild in die Höhe, auf dem in Englisch und Hebräisch stand: » Rotse Seder Pesakh Kasher? Daber Itanu. Auf der Suche nach einem koscheren Pessach-Seder? Wir laden Sie ein.«
    Sie kamen jedes Mal mit Gästen nach Hause.
    Hodes erzählte Claudia und Rob, dass er vor kurzem eine Familienkonferenz einberufen hatte. Die Jungen hatten sich auf den Sofas und Sesseln im Wohnzimmer verteilt und ihn angesehen.
    »Sind wir eine richtige Familie?«, setzte er an.
    »Ja, Hodes, wir sind eine richtige Familie«, sagte Addisu Hodes, fünfzehn Jahre alt. Addisu hatte seine langen Haare zu Zöpfchen geflochten und trug mit Vorliebe Fußballtrikots, da er auf seiner Highschool ein Fußballstar war.
    »Sind wir eine glückliche Familie?«, fragte Hodes.
    »Ja, ja, wir sind eine glückliche Familie«, sagte Mohammed.
    »Haben wir irgendwelche familiären Probleme?«, fragte Hodes.
    »Na ja, ein paar Probleme gibt es schon«, räumten die Jungen ein.
    »Okay«, sagte Hodes, »was ist unser größtes Problem?«
    Die Jungen berieten sich kurz untereinander und danach nahm Dejene die Kopfhörer ab und sagte laut: »Die Furzerei.«
     
    »Wie geht’s dir?«, fragte Claudia Rob später an diesem Abend besorgt, als er sich zitternd ins Bett legte.
    »Ich bin schwer beeindruckt«, sagte Rob.
    In den ersten Tagen benahm sich Meskerem so damenhaft und wohlerzogen, dass auch ihre neuen Eltern die besten Manieren an den Tag legten, nur um mitzuhalten. Claudia und Rob wurden zu wahren Meistern in puncto Ordnung und Planung und gewöhnten sich an, jedes Wort und jede Silbe überdeutlich auszusprechen, um Meskerem das Verstehen zu

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