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Alle meine Schuhe

Alle meine Schuhe

Titel: Alle meine Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hepburn Lucy
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Schultern des Jungen und drückte ihn kurz.
    »Weise Entscheidung, Harry. Gut gemacht.«
    Sie schwiegen, und Harry warf Kieselsteine ins Wasser, in eine Lücke zwischen den kleineren Booten, die im Hafen auf den Wellen tanzten. Amy blickte nach links, wo wenige Tage zuvor das Festzelt gestanden und sie mit Jack getanzt hatte. Sie hatte in seinen Armen gelegen, die Augen geschlossen, sich beschützt und sicher gefühlt.
    »Du vergisst nicht, Jack zu besuchen, bevor du abreist?«
    »Jack?« Amy bemühte sich, übertrieben nachdenklich auszusehen. »Jack Devlin? Findest du, ich sollte das tun?«
    »Unbedingt! Nachdem du weg warst, hat er dich stundenlang gesucht. Bestimmt wollte er noch mal mit dir tanzen.«
    Amy kratzte sich am Kopf. »Tatsächlich? Aber Jack hat doch bestimmt eine Menge anderer Mädchen zum Tanzen aufgefordert, nachdem ich weg war, stimmt’s , Harry?«
    Amy Marsh, dafür landest du in der Hölle.
    Harry dachte angestrengt nach. »Da bin ich nicht so sicher. Oh, warte … doch! Du hast recht!«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Er hat mit Miss Hallyburton getanzt.«
    Ihre Miene entspannte sich.
    »Wirklich?«
    »Wen wirst du als Erstes besuchen?«
    Amy überlegte. »Da ich nicht weiß, wo Jack arbeitet, fahre ich am besten zu seiner Großmutter und lasse mir die Adresse geben.«
    »Das weißt du nicht?«, fragte Harry überrascht. »Aber es ist direkt da vorn!« Er stand auf und zeigte nach rechts. »Siehst du die große Werft am Wasser? Das blau gestrichene Gebäude? Da arbeitet er!«
    Amy wäre am liebsten vor Freude geplatzt, hätte sich Harry geschnappt und mit ihm im Kreis getanzt. Aber sie unterdrückte ihr Verlangen, erhob sich, klopfte sich ein paar Sandkörner von der Kleidung, stemmte die Hände in die Hüften und verkündete: »Dann sollte ich dort vielleicht zuerst hingehen. Nur um höflich zu sein.«
     
    Um. Himmels. Willen.
    Die Boote im Bootshaus waren alle aus Holz gefertigt. Als wäre sie in einem früheren Jahrhundert gelandet. All diese zeitlosen, wunderschönen Dinge – Rümpfe und Kiele, Masten und Buge – wurden von Hand behauen und zu eleganten Booten zusammengebaut, die noch viele Generationen lang auf den Wellen tanzen würden.
    Harry war zurückgegangen, um seine Mutter zu suchen, so dass Amy allein zu der Werft gehen musste. Je näher sie kam, desto nervöser wurde sie. Schließlich war ihre Angst so groß, dass sie eine Pause machte und ein paar Mal tief durchatmete, um Mut zu sammeln.
    Amy Marsh, jetzt komm schon. Was würdest du tun, wenn du keine Angst hättest?
    Es war nur ein Fußweg von zehn Minuten.
    Er wird sauer auf mich sein, weil ich von der Party abgehauen bin, ohne ihm Bescheid zu geben.
    Aber komischerweise ermutigte sie die Vorstellung von einer kühlen Begrüßung. Noch einmal holte sie tief Luft.
    Dann entschuldige ich mich zumindest für mein Verhalten und verschwinde wieder.
    Die blaue Werft war riesengroß. Aus dem Innern drangen laute Hämmergeräusche.
    Und auf dem Rückweg nach New York kann ich ja dann die ganze Zeit heulen.
    Frisch gesägtes Holz, dieser harzige, das Bild von Wäldern heraufbeschwörende Duft traf sie mit voller Wucht, als sie eintrat. Es roch köstlich. Amy fühlte sich in alte Zeiten zurückversetzt, in Patricks Schuppen am Ende ihres kleinen Gartens. Er hegte eine Leidenschaft für Holzarbeiten und konnte sein Talent auch oft bei der Arbeit als Bühnenbildner einsetzen. An manchen Tagen fertigte er da draußen Kisten und Regale, Schalen und Kerzenständer. Amy saß dann gern auf dem Boden des Schuppens und spielte mit den hübschen, gedrehten Holzspänen, die von seiner Werkbank herunterfielen.
    Doch wo steckte Jack? In der riesigen Halle mit den großen Doppelschiebetüren war es absolut windstill. Das Licht kam von großen Deckenlampen. Überall waren Männer bei der Arbeit. Oben auf Leitern, vornübergeneigt neben Schiffsrümpfen, vor Werkbänken kniend. Sie sägten, hämmerten, hobelten, vermaßten und riefen sich gegenseitig Anweisungen zu. Ein unglaublicher Lärm herrschte hier drinnen. Amy ging langsam weiter und musterte unauffällig jeden einzelnen der Arbeiter. Aber keiner davon war Jack.
    Die Männer begannen schon, auf sie aufmerksam zu werden. Sie musste kein Hellseher sein, um zu wissen, dass ihr von allen Seiten neugierige Blicke zugeworfen wurden. Je weiter sie in die Halle hineinging, desto wärmer wurde es. Schwitzende Männer, manche in Shorts, andere in Overalls, hielten inne und musterten sie, als sie

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