Alle meine Schuhe
…
»In dem Schuh war ein Liebesbrief versteckt. Dadurch fand ich heraus, dass meine Mutter eine Affäre hatte. Das dachte ich zumindest. Im Nachhinein erwies sich meine Annahme jedoch als falsch.«
»Verstehe.« Er kratzte sich am Kopf. »Nein, tue ich nicht. Könntest du es mir noch mal erklären?«
»Es war ein Liebesbrief von Sergei, dem Mann, den ich immer für einen guten Freund meiner Mutter gehalten hatte – ich habe dir, glaube ich, von ihm erzählt. Er hat mich hier in seinem Haus wohnen lassen. Jedenfalls zählte ich zwei und zwei zusammen, kam auf fünf und war total durcheinander. Dann habe ich mir auch noch am dunklen Strand den Knöchel verknackst, bin zum Auto gehumpelt und völlig aufgelöst weggefahren.«
»Ich muss gestehen, das ist eine bessere Erklärung als das, was mir so eingefallen ist.« Jetzt schwang in seiner Stimme ein Hauch Mitgefühl mit.
Sie sah ihm in die Augen. »Zum Beispiel?«
»Ich dachte, du hättest nur nach einer Gelegenheit gesucht, von mir wegzukommen, und die Chance genutzt, als ich die Getränke holte. Dann hast du dir noch schnell eine ungewöhnliche Geschichte für Grandma ausgedacht und bist weg.«
»Jack!«, rief Amy überrascht. »Das kannst du doch nicht wirklich geglaubt haben? Nicht nach … unserem Tanz … und allem?«
Er zuckte mit den Schultern, aber sein Gesicht wirkte entspannter. »Manchmal ja, manchmal nein. Aber als ich dann tagelang nichts von dir hörte, kam ich zu dem Schluss, dass ich wohl keine große Rolle in deinen Gedanken spielen konnte.«
Sie erreichten die Stelle, an der Amy und Harry vorhin noch gesessen hatten. Amy setzte sich auf den gleichen Fleck und Jack folgte ihrem Beispiel nach kurzem Zögern.
»Jack, es ist schrecklich. Schrecklich, kompliziert und doch wunderbar. Ich habe die unglaublichsten Tage meines Lebens hinter mir.«
»Schön für dich«, erwiderte er, einen Tick zu vorwurfsvoll.
»Bitte!« Sie hob die Hände in einer Geste der Kapitulation. »Es ist eine lange Geschichte. Darf ich es dir erklären?«
»Das solltest du allerdings. Und sie sollte gut sein, denn du hast Ed ja gehört, wir müssen die Zeit bis Sonnenuntergang herumkriegen! Warte …« Er schaute an seiner Arbeitskleidung herunter. »Amy, siehst du das Gebäude da hinten?« Er wies auf ein hübsches Backsteingebäude am Wasser mit einer Glasfront. Über dem Dachvorsprung wehte eine Stars-and-Stripes-Flagge an einem langen weißen Fahnenmast.
»Ja, das sehe ich.«
»Das ist der Bootsclub, in dem ich Mitglied bin.«
»Okay.«
»Wie wäre es, wenn ich dich dort an die Bar setze, dir etwas Kaltes zu trinken bestelle und mich in der Zwischenzeit duschen und umziehen gehe? Würdest du mir versprechen, nicht sofort die Gelegenheit zu einer waghalsigen Flucht – wohl dein Markenzeichen – zu nutzen?«
»Hm.« Amy tat so, als müsse sie erst nachdenken und bemühte sich, nicht loszulachen. Aber als sie Jacks ernstes Gesicht sah, ernüchterte sie das. Sie berührte ihn sachte am Arm. »Ganz im Ernst, Jack, ich habe genug vom Weglaufen.«
Damit sprangen sie beide von der Mauer herunter und gingen in Richtung Bootsclub.
Nachdem Amy es sich in der leeren Bar vom Bootsclub gemütlich gemacht hatte und Jack duschen gegangen war, zückte sie ihr Handy und lächelte über die beiden eingegangenen Nachrichten.
Wie schön, dass du eine neue Familie hast. Kann es kaum erwarten, dich zu drücken. Times Square morgen um elf? Peace. Jes. -
Du Teufelsbraten. Bloß gut, dass du nie versucht hast, dich an Sergei ranzumachen. – Hoffe, es geht dir gut. Wir sehen uns morgen. Alles Liebe. Deb xxxxx
Amy lachte und war gerade dabei, freche Antworten zu formulieren, als Jack zurückkam, frisch geduscht, in einem weißen Hemd, dunkelblauen Jeans und seinen ledernen Deckschuhen. Sein Haar war noch feucht und während er auf ihren Tisch am Fenster zukam, von dem aus sie den ganzen Hafen überschauen konnten, krempelte er die Ärmel hoch. Er roch nach Seife und frisch gewaschener Wäsche. Amy lief ein Schauer über den Rücken, als er sich dicht neben sie setzte.
»Jetzt bin ich es, die sich schmuddelig fühlt«, sagte sie und zupfte am Saum ihrer Shorts.
Er musterte sie von oben bis unten, runzelte die Stirn und sagte: »Geht schon.«
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Vorsicht, zu viele Komplimente bekommen einem Mädchen nicht.«
»Ich werde mich bemühen, daran zu denken. So, dann fang mal an.«
Nachdem Amy am Abend zuvor lange E-Mails an Jes
Weitere Kostenlose Bücher