Alle meine Schuhe
treiben will. Jack war ein geduldiger Lehrer. Amy entging nicht, dass er versuchte, die Fachtermini auf ein Minimum zu beschränken, was sie sehr sympathisch fand.
Ich mag ihm ja meine Lebensgeschichte erzählt haben, aber ich glaube, die Schuhvergleiche behalte ich vorerst noch für mich.
»Wenn du diese Leine straffer ziehst, lässt du sie ein bisschen krängen – das heißt, leicht auf die Seite legen. Aber keine Angst, du fällst nicht raus.«
Er zog an einigen Leinen und sofort legte sich das kleine Boot auf die Seite und beschleunigte. Aufgeregt und ein bisschen ängstlich fühlte sich Amy so lebendig wie schon lang nicht mehr.
»Das ist unglaublich!«, rief sie. »Wird es nicht kentern?«
»Nie«, rief Jack mit fester Stimme zurück. »Unmöglich – der Kiel ist zu schwer. Das ist das wie eine Flosse geformte Ding unten drunter.«
»Danke, Herr Professor!« Amy lachte. »Eine Ellen Mac-Arthur wird wahrscheinlich nicht aus mir werden, aber ich weiß, was ein Kiel ist.«
»Freut mich zu hören. Nach der Sache mit dem Steuerknüppel war ich doch leicht beunruhigt.«
»Mir war nur das Wort entfallen, weil ich mich so konzentrieren musste!«
Es war wunderbar. Der Wind, die Gischt, die Sonne, das Kreischen der Seemöwen über ihnen, als sie die Küste entlang segelten. Jacks Können blieb sogar einer Anfängerin wie Amy nicht verborgen. Immer wenn das Boot an Geschwindigkeit verlor oder ein Segel flatterte, korrigierte er hier und da etwas an den Leinen. Sekunden später hatten sie wieder volle Fahrt aufgenommen und pflügten souverän durch die Wellen des glasklaren Wassers von South Bay. Aber Jack stellte seine Kenntnisse nicht demonstrativ zur Schau, er tat einfach das Richtige, konzentriert und zufrieden. Ab und zu, wenn sich ihre Blicke trafen, lächelte er Amy an. Sie lächelte zurück und hätte vor Glück platzen können.
»Danke, Jack. Das war klasse. Ich bin wild entschlossen, es zu lernen!«
»Wirklich?« Er strahlte. »Wenn du magst, bringe ich es dir bei.« Dann verdüsterte sich sein Gesicht. »Ich meine … du sagtest ja, du würdest jetzt öfter in der Gegend sein …«
Sie gingen vom Hafen zurück zum Bootsclub. Amy schwankte noch ein bisschen und musste sich erst wieder an festen Boden unter den Füßen gewöhnen. Sie streckte die Arme aus, um das Gleichgewicht besser halten zu können. Jack nahm ihre Hand – und hielt sie fest.
»Ich habe doch jetzt hier ein Zuhause! Natürlich.« Fühlte sich gut an, von ihm gehalten zu werden. Jacks Hand war warm und stark. Ihn neben sich zu spüren war so selbstverständlich und gleichzeitig so aufregend. Amy fühlte sich stolz und sogar ein bisschen übermütig.
»Gut.«
»Jack?« Es gab etwas, das sie unbedingt erledigen musste. Sie musste es jetzt tun – oder alles wäre vorbei.
»Ja?« Sie blieben stehen. Der Bootsclub war nur noch wenige Meter entfernt, sie standen fast schon in seinem Schatten.
»Weißt du noch, wann ich von der Party verschwunden bin?«
Schweigen. Sie konnte ihn atmen hören. »Ich habe so eine vage Erinnerung, dass du unauffindbar warst, als es ans Aufräumen ging.«
Sie lächelte. »Da war etwas, das wir beide … du und ich … beinahe getan hätten … aber dann doch nicht getan haben …«
Sie standen immer noch nebeneinander mit dem Gesicht zum Bootsclub. Jack hielt Amys Hand ganz fest.
Sie hörte, wie er den Atem anhielt. Ihre Haut kribbelte vom Kopf bis zu den Zehen.
»Ja, ich glaube, da war etwas«, antwortete er schließlich. Seine Stimme klang gespannt und irgendwie erwartungsvoll.
Dann drehten sie sich gleichzeitig einander zu. Amys Mut war wie weggeblasen. Sie schaute Jack in die Augen. Und nachdem sie eine Millisekunde lang daran gedacht hatte, wie nützlich ein Paar Stilettos in diesem Moment wären, stellte sich Amy auf die Zehenspitzen, schloss die Augen, und sie küssten sich.
Später, sehr viel später, lösten sie sich voneinander. Jack lächelte. Amy war schwindelig. Ein paar Augenblicke lang kam sie sich vor, als hätte man ihr den Verstand, die Vernunft und den letzten Rest Gleichgewicht geraubt, denn sie schwankte. Sie hielt sich an Jacks Unterarmen fest, um nicht umzufallen.
»Mhm, das war nett«, sagte sie und errötete leicht.
»Nett?«, wiederholte Jack. »Schon wieder dieses Wort. Ich werde wohl eine Weile brauchen, um mich an deine britische Art der Untertreibung zu gewöhnen!«
»Sorry«, kicherte sie.
»Weißt du was?«
»Was?«
»Es war nett. Du hast recht. Es war
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